Strafrechtsreform

Reform des Sexualstrafrechts

Ich berichte über Rechtsthemen ja gerne mit einem Augenzwinkern. Satire ist mir nicht völlig fremd.

Ein Kollege berichtet hier über die Auswüchse unseres jüngst erst wieder reformierten Sexualstrafrechts. Wahrscheinlich hat er das auch augenzwinkernd gemeint. Es ist aber bittere Realität.

Man lese nur einmal die Kommentare zu dem Artikel.

Lebenslang

Wie lange ist eigentlich „lebenslang“?

James Eagan Holmes müsste eigentlich im Guiness-Buch der Rekorde stehen. Tut er zwar nicht, aber er hat noch viel Zeit, auf Neuauflagen zu warten. Sein Urteil lautet nämlich auf 12 Mal lebenslänglich plus zusätzlich 3.318 Jahre Haft. Ich habe zwar den Prozess nicht verfolgt, stelle mir aber gerade vor, wie der Staatsanwalt auf 13 Mal lebenslänglich plus 3.500 Jahre plädiert und der Verteidiger das Gericht um 1 Leben plus 182 Jahre runterschwätzt. Anschließend fragt er seinen Mandanten voller Stolz auf seine Leistung: »Na, wie war ich?«

Ein solcher Erfolg bliebe ihm bei der deutschen Justiz versagt, denn das Urteil gegen Holmes wurde in den USA gefällt. In Deutschland hätte das Gericht den Staatsanwalt verwundert angeschaut. Denn bei uns steht im Gesetz: »Das Höchstmaß der zeitigen Freiheitsstrafe ist fünfzehn Jahre.« 20 Jahre oder 25 oder 100 und mehr könnten demnach also nicht verhängt werden.

Die ersten Kommentatoren greifen jetzt schon in die Tasten, um mich zu belehren, dass es auch »lebenslänglich« gibt. Dazu komme ich aber erst später, hier geht es zunächst um die »zeitige« Freiheitsstrafe.

Manche Straftäter werden bekanntlich mehrfach straffällig. Die naheliegende Frage ist dann, ob die 15-Jahres-Grenze pro Tat gilt oder eine Obergrenze für alle Taten zusammen bildet. Das ist nicht ganz einfach zu beantworten. Grundsätzlich kennt das Strafrecht den Mengenrabatt, der im Juristendeutsch »Gesamtstrafe« heißt. Stellen wir uns einen Täter vor, der jeweils zum Monatsersten seinen Hartz-4-Regelsatz durch einen schweren Raub aufbessert, für den er bis zu 5 Jahre pro Einzelfall bekommen müsste. Kurz vor Weihnachten wird er erstmals verurteilt, weil man ihm die Raubüberfälle im ersten Halbjahr zwischenzeitlich nachweisen konnte. Unser Räuber bekommt dann nicht 6 x 5 Jahre, sondern es wird eine Gesamtstrafe gebildet, die maximal 15 Jahre betragen darf.

Immerhin reicht es für eine Zelle in der nächsten JVA, wo unserer Räuber dann ganz entspannt abwarten darf, ob man ihm die Raubüberfälle im zweiten Halbjahr auch noch nachweisen kann. Im Ergebnis kann ihm das nämlich egal sein. Zwar wird man ihn ein zweites Mal vor Gericht stellen. Er bekommt aber nicht bis zu 6 x 5 Jahre dazu, auch nicht 1 x 15 Jahre obendrauf, sondern es gilt weiterhin die Obergrenze von 15 Jahren für alle Taten zusammen. Nach dem Urteil wird er dann wahrscheinlich sagen: »Verbrechen lohnt sich doch.«

Nun ist der Hartz-4-Regelsatz angeblich knapp bemessen. Stellen wir uns darum einmal vor, auch das Zusatzeinkommen unseres Räubers hätte nicht bis zum nächsten Monatsersten gereicht, weshalb er in der glühenden Julihitze seinen Durst löschen musste, indem er eine Dose Bier für 39 Cent aus einem Laden mitgehen ließ. Auch diese Akte landet irgendwann bei einem Staatsanwalt, allerdings zu einem Zeitpunkt, als der Räuber schon wegen der Raubüberfälle im ersten Halbjahr inhaftiert ist. Weil unsere Staatsanwälte aber fleißig sind, klagen sie auch diesen Ladendiebstahl noch an.

Nun hat unser Räuber Grund zu zittern!

Der Diebstahl einer Bierdose lag nämlich genau zwischen dem ersten und dem zweiten Halbjahr. Der Trick mit der Gesamtstrafe von maximal 15 Jahren funktioniert nun nicht mehr. Das Gericht wird vielmehr aus den ersten 6 Raubüberfällen und dem Bierdosendiebstahl eine Gesamtstrafe bilden, die – mittlerweile dürfte es jeder kapiert haben – 15 Jahre nicht überschreiten darf. Die Raubüberfälle im zweiten Halbjahr können nun aber nicht mehr in die Gesamtstrafe einbezogen werden. Unser Räuber bekommt also für das zweite Halbjahr zwar nicht 6 x 5 Jahre, aber eine zusätzliche Strafe von maximal 15 Jahren.

Im Endeffekt könnte er sich also 30 Jahre einfangen. Er darf sich dann neben James Eagan Holmes für einen Eintrag im Guiness-Buch bewerben, und zwar in der Sparte »Teuerste Bierdose aller Zeiten.«

Von einer 30jährigen Haft ist es nun kein großer Sprung mehr zur lebenslangen Freiheitsstrafe. Die gibt es tatsächlich und der Volksmund glaubt zu wissen, dass es sie nur für Mord gibt. Stimmt leider nur fast, denn das Gesetz kennt auch einen besonders schweren Fall des Totschlags. Der wird ebenfalls mit lebenslang bestraft. Außerdem gibt es Taten »mit Todesfolge«. Wenn das Opfer einer Vergewaltigung oder eines Raubes zwar nicht bei der Tat getötet wird, aber durch die Folgen der Tat stirbt, droht dem Täter lebenslang.

Lebenslang heißt – lebenslang! Wenn die Presse von einer lebenslänglichen Verurteilung berichtet, gibt es immer irgendwo einen, der sich damit auskennt und prophezeit, dass der Verurteilte »in 15 Jahren wieder draußen« sei. Ganz so einfach ist dies nicht. Es wird lediglich nach 15 Jahren erstmals geprüft, ob die Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Dies ist aber kein Selbstläufer. Oftmals fehlt es an der Prognose, dass der Häftling sich bewähren werde. Dann muss er eben nachsitzen.

Obendrein – wir sind hier schließlich in Deutschland – hat der Häftling auch einen Anspruch darauf, dass seine lebenslange Freiheitsstrafe ordnungsgemäß vollstreckt wird. Wenn die Justiz ihn nach 15 Jahren einfach rausschmeißen will, darf er darauf bestehen, weiter drin zu bleiben. Ich hatte Anfang der 1990er Jahre mal mit einem Gefangenen zu tun, der Mitte der 1960er Jahre inhaftiert worden war. Er hatte also das Leben in Freiheit verloren zu einer Zeit, als der Schwarzweiß-Fernseher für seine Mitbürger die Krone des technischen Fortschritts war. Bereits die Mondlandung hatte er im Knast miterlebt, ebenso alles, was danach folgte. Das Leben »dort draußen« macht ihm Angst. Er wollte sein Gefängnis nicht verlassen und ist später dort auch gestorben. Lebenslang heißt – lebenslang!

Die Möglichkeit, trotz einer Verurteilung zu lebenslanger Freiheitsstrafe irgendwann auf Bewährung entlassen zu werden, verdanken wir übrigens dem Bundesverfassungsgericht. Das musste sich im Juni 1977 mit der Frage befassen, ob die lebenslange Vollstreckung einer Freiheitsstrafe mit der Würde des Menschen vereinbar ist. Das BVerfG hat damals viele Gutachten eingeholt und sich in seinem Urteil damit auseinandergesetzt.

Wer etwas über die Auswirkungen einer Langzeithaft erfahren möchte, dem empfehle ich die Lektüre => hier. Für die Eiligen zitiere ich, was dort über den Zustand eines Menschen nach 20 Jahren hinter Gittern gesagt wird:

»Dann beginnt … ein grausames Zerstörungswerk des inneren Lebens durch die abtötende Haft. Das Notwendigste und Beste im Menschen, sein Wille, zum Schlechten, aber auch zum Guten wird langsam, aber sicher gewürgt. Es fehlt die den Menschen »heiligende« Freude. Das Vegetieren beginnt und siegt. Die Gefangenen werden stumpf und gefühllos, Maschinen, endlich Ruinen. Das ist der Nährboden für entstehende geistige Störungen.«

Tatherrschaft

Was bedeutet eigentlich „Tatherrschaft“?

Es wird Blut fließen, viel Blut. Das verdanken wir allein einem einzigen Mann, der von seiner weit entfernten Hauptstadt aus eine andere Stadt zur Hauptstadt des Staates Israel ernannte. Jeder weiß, dass er damit ganze Länder ins Chaos treibt und heftigste Auseinandersetzungen gezielt provoziert. Er tritt bildlich gesprochen eine Lawine los, die über viele Menschen viel Leid bringt. Andere sprechen von einem Flächenbrand, der nun im Nahen Osten zu erwarten sei.

Würde unsereiner im Skiurlaub aus Spaß, aus Dummheit, aus Arroganz oder warum auch immer eine Piste nutzen, vor der jeder warnt und die wegen Lawinengefahr gesperrt ist, würden wir ihn wegen der Lawine, die er auslöst, um friedliche Winterurlauber zuzuschütten, vor Gericht stellen. Nicht anders verfahren wir mit einem, der Streichholz und Benzinkanister einsetzt, um seine Paranoia auszuleben.

Warum muss Donald Trump dann keine Anklage fürchten?

Abgesehen davon, dass für Trump kein deutsches Recht gilt, besteht ein entscheidender Unterschied zwischen seiner Lawine und den Schneemassen im Winter oder der Feuersbrunst des Brandstifters: Schnee denkt nicht. Feuer denkt auch nicht. Ob Trump das tut, wissen wir nicht, darauf kommt es aber nicht an, denn seine Lawine kann denken, sein Flächenbrand auch. Die er provoziert sind Menschen aus Fleisch und Blut. Es steht ihnen völlig frei, ob sie wegen der Hauptstadtfrage sich gegenseitig erschlagen oder unschuldige Dritte. Zumindest theoretisch könnten sie es auch ganz sein lassen – was voraussichtlich nicht ernsthaft in Betracht gezogen werden wird. Solange jedoch für vernünftige Menschen noch Alternativen bestehen zum Ausbruch der Gewalt, kann Trump juristisch nicht schuld daran sein, dass es knallt.

Um das auch wirklich zu verstehen, muss man weit ausholen, mehr als eineinhalb tausend Jahre weit. Es waren die frühchristlichen Theologen, die sich bereits in der ausgehenden Antike den Kopf darüber zerbrachen, wieso Gott, der doch von ihnen als in allem perfekt erdacht war, eine derart schlechte Welt mit solch überaus bösen Menschen geschaffen hat. Aurelius Augustinus löste das Problem mit einem genialen Kniff: Er erfand den freien Willen. Der Mensch ist für sich selbst verantwortlich, so habe es der Schöpfer gewollt, weshalb – in letzter Konsequenz – selbst Auschwitz kein Anlass sein sollte, an der göttlichen Perfektion unserer Welt zu zweifeln. Für solche Ideen wird man als Kirchenlehrer verehrt.

Das Strafrecht hat zwar Gott aus der Gleichung gestrichen, den Gedanken vom freien Willen aber übernommen und zum Fundament der Strafbarkeit ausgebaut. Eigenverantwortliches Handeln unterstellt es dem Menschen und erwartet es von ihm. Ein hehrer Anspruch angesichts manch triebgesteuerter Dumpfbacken. Und ein gutes Beispiel dafür, wie Ideale immer in ihr Gegenteil verdreht werden. Der Staat schätzt den freien Willen seiner Bürger nirgendwo so hoch wie dort, wo er sie bestrafen will. Und er achtet mit seinen Gesetzen immer sorgfältig darauf, dass manche sich ihnen geschickt entziehen können. Darum ist der Täter im Hintergrund fein raus, denn man kann ihn nicht dafür verantwortlich machen, dass andere den Stein werfen, den er zufällig im richtigen Moment aufgehoben hat.

Schlaumeier werden jetzt „Anstiftung“ rufen, aber es kann niemand ernsthaft behaupten, Trump habe irgendeinen Palästinenser direkt dazu aufgefordert, einen Molotow-Cocktail zu schleudern. Er hat es gewusst, erhofft, provoziert – aber eben nicht zu verantworten. Strafjuristen sprechen von fehlender Tatherrschaft und verneigen sich vor der Größe des menschlichen Geistes.

Damit rücken diejenigen in den Blick des Strafrechts, welche die Herrschaft über all die nun bevorstehenden Gewalttaten haben, also die Krawallmacher auf der Straße. Sie kommen in der öffentlichen Diskussion etwas knapp weg. Kommentatoren bejammern lautstark, dass der Mob nun wieder von der Leine gelassen wurde. Aber niemand stellt die Frage, weshalb er eigentlich angeleint sein müsste. Können diese wütenden Demonstranten etwa nicht anders? Haben sie einen Gendefekt, der sie zwingt, Pflastersteine herauszureißen und zu werfen? Oder folgen sie ihrem freien Willen, auch wenn sie „De libero arbitrio“ von Augustinus vermutlich nie gelesen haben?

Würde in der jetzt aufgeheizten Situation einmal nicht populistisch-journalistisch sondern kühl juristisch argumentiert, käme die öffentliche Meinung vielleicht zu einem völlig anderen Ergebnis: Nicht Trump wäre schuld, auch nicht andere politische oder religiöse Führer, die den Konflikt anheizen, sondern der einzelne Wüterich, der vermummt oder offen randaliert. Eine verwirrende Analyse der Situation. Und ein Grund dafür, warum juristischer Sachverstand so ziemlich das Letzte ist, was in einer politischen Diskussion gebraucht wird.

Vor Gericht kannst Du, geneigter Leser, Dich jedoch darauf verlassen, dass politische Erwägungen es Dir nicht ersparen, wegen Deines freien Willens verurteilt zu werden. Die Massenschlägerei vor dem Fußballstadion erscheint nicht in einem milderen Licht, weil Bayern München schon wieder gewonnen hat. Und das Auto, das Du beim G-20-Gipel abgefackelt hast, verzeiht man Dir nicht deshalb, weil der um seine Ersparnisse fürchtende griechische Rentner Deinen heiligen Zorn entfachte.

Strafgerichte sind emotionslos. Dein Kampf für eine gerechtere Welt ist ihnen schon deshalb suspekt, weil Du nicht berufen bist, für Gerechtigkeit zu kämpfen.

Inquisition

Was ist eigentlich die „Inquisitionsmaxime“?

Hollywood hat uns den Inquisitionsprozess als düsterstes Kapitel des finsteren Mittelalters verkauft. Dabei war er strafprozessual ein echter Fortschritt. Ich hätte keine Lust, die Richtigkeit einer Aussage jedes Mal durch „sechs ehrbarer Männer Eid, denen zu glauben sey“ oder durch Gottesurteile beweisen zu müssen. Mir liegt eher die rationale Beweisführung mit protokolliertem Prozessablauf. Nichts anderes war der Inquisitionsprozess, der in Deutschland vom Spätmittelalter bis etwa zu Goethes Zeiten praktiziert wurde. Danach hat man das Verfahren etwas humanisiert (Abschaffung der Folter), erweitert (Zulassung anderer Beweismittel als Zeugen) und personell aufgepeppt (Erfindung der Staatsanwaltschaft). Schon war unsere heutige Strafprozessordnung geboren, die sich lange Zeit eines gesunden Wuchses erfreute. In letzter Zeit bekommt sie einige hässliche Wucherungen, weil zu viel an ihr herumgedoktert wird. Könnte sein, dass sie allmählich dem Siechtum anheimfällt.

Jedenfalls ist es historisch nicht ganz verkehrt, ihre Wurzeln im alten Inquisitionsprozess zu suchen, weshalb man die Vorgehensweise eines Strafrichters auch heute noch als Inquisitionsmaxime bezeichnet. Darunter versteht man das Prinzip, dass der Richter von Amts wegen alles Erforderliche unternimmt, um die Wahrheit zu erforschen. Das Ergebnis seiner Ermittlungen nennt man dann „materielle Wahrheit“.

Allerdings kann es Dir, geneigter Leser, auch passieren, dass ein Richter einfach sagt: „Interessiert mich doch nicht, was hier wahr ist.“ Dann bist Du in einem Zivilprozess gelandet, wo statt der Inquisitionsmaxime die Verhandlungsmaxime gilt. Wenn dort zwei Streithähne übereinstimmend behaupten, der Schornsteinfeger habe eine weiße Uniform getragen, dann unterstellt der Richter dies eben als wahr und legt es seinem Urteil zugrunde. Man spricht dann von der „formellen Wahrheit“. Die würde mir in manchen Strafprozessen besser gefallen, ist aber bei Staatsanwälten extrem unbeliebt.

Lustig wird es, wenn beide Maximen aufeinandertreffen, also zwei unterschiedliche Gerichte denselben Sachverhalt nach ihren jeweiligen Vorschriften untersuchen. Schlägt der Willi Wüterich dem Hans Halbblind ein Auge aus, landet er wegen der schweren Körperverletzung vor dem Strafgericht und wegen einer Schmerzensgeldforderung vor dem Zivilgericht. Es ist dann nicht ausgeschlossen, dass ein Richter ihn für schuldig befindet, der andere aber für unschuldig und umgekehrt. So ist das mit der Wahrheit im Prozess: Mal ist sie formell, mal materiell, meistens aber falsch.

Darum hat Hollywood noch etwas ganz Besonderes aus dem Hut gezaubert. Dort kennt man nämlich auch „die Wahrheit und nichts als die reine Wahrheit.“ Klingt bombastisch, ist aber nur großes Kino. Vor Gericht ist mir die noch nie begegnet.

Denunziantentum

Wie macht man eigentlich eine „anonyme Anzeige“?

„Herr XY und sein Sohn vertreiben Kinderpornographie der übelsten Art. Der Computer ist im Keller versteckt“. So schrieb kürzlich ein Unbekannter an eine bayerische Staatsanwaltschaft. Ein Brief, der die Strafverfolger elektrisierte.

Die zuständige Kriminalpolizei stellte umgehend fest, dass die namentlich benannten Personen tatsächlich existierten. Ein sehr starkes Verdachtsmoment! Wenn einer behauptet, dass Elvis lebt und die Kripo bei ihren Ermittlungen feststellt, dass es einen Elvis zumindest einmal gab, dann spricht viel dafür, dass diese anonyme Anzeige auf wahren Tatsache beruht. Also auf nach Memphis zur Durchsuchung.

Allerdings barg der bayerische Fall ein Problem: Die Wohnadresse war falsch angegeben. Was nun? Die Staatsanwaltschaft entschied sich trotzdem dafür, Durchsuchungsbeschlüsse zu beantragen, was der zuständige Ermittlussgrichter aber ablehnte. Hiergegen richtet sich eine Beschwerde der Staatsanwaltschaft, die der Meinung war, das „ihre“ anonyme Anzeige weit über eine gewöhnliche anonyme Anzeige hinausgehe. Schließlich sei ja auch der Standort eines Computers – nämlich „im Keller“ – angegeben worden. Aber auch die Beschwerdekammer des Landgerichts wollte keinen Durchsuchungsbeschluss erlassen. Argument: „Anonyme Anzeigen rechtfertigen in der Regel keinen Anfangsverdacht. Jegliche andere Sichtweise würde dem Denunziantentum Tür und Tor öffnen.“

Wenn Du, geneigter Leser, Deinen Feind mit Erfolg denunzieren willst, dann sollte Dir dieser Fall eine Lehre sein. Was der Anzeigeerstatter nämlich hier versäumte, waren Fakten, die keine Fakten sind, sich aber so anhören als ob. Postfaktische Fakten gewissermaßen.

Willst Du es besser machen, so schreibe beispielsweise: „Der Computer wurde vor zwei Jahren im Media-Markt gekauft.“ oder „Die Eingangstür zum Keller ist knallrot lackiert.“ oder „Der Rechner ist durch ein Passwort gesichert.“ Solche Sätze wirken magisch auf die Ermittler, denn die fragen sich dann: „Woher sollte der anonyme Anzeiger so etwas wissen, wenn es nicht tatsächlich wahr ist?“ Sie können sich der Magie dieser Fakten nicht entziehen. Am besten Du zeigst Dich einmal anonym selbst an und verteidigst Dich dann mit dem Satz: „Meine Kellertür ist aber weiß.“ Dann wirst Du verstehen, was ich meine. Die Polizei wird alle Lackschichten auf der Kellertür abkratzen, nur um etwas Knallrotes zu finden.

Aber Vorsicht: Die postfaktischen Fakten sollten nicht zu präzise sein. Wenn Du in Deine Anzeige den Satz schreibst: „Neulich beim Stromausfall ging der Rechner aus.“ oder „Der Keller hat einen Seitenausgang in den Garten.“, dann verdirbst Du der Strafverfolgung den Spaß. Stromausfälle und Seiteneingänge lassen sich nämlich nachprüfen. So etwas sollte man nur behaupten, wenn es auch stimmt. Besser ist es allemal, möglichst schwurbelig zu bleiben, also nur so zu tun, als könne man Fakten liefern. Dann geht das Ding glatt durch.

Auf keinen Fall solltest Du Fakten erfinden, die Dich enttarnen. „Ich kann immer von gegenüber zuschauen“, wäre prinzipiell eine gute Idee, führt aber möglicherweise zu einer Durchsuchung nicht nur bei Deinem Nachbarn, sondern gleich auch noch bei Dir. Falsche Verdächtigung und üble Nachrede sind nämlich ebenfalls Straftaten und gegenüber von jemandem zu wohnen, der zu Unrecht denunziert wurde, erscheint Ermittlungsrichtern als ziemlich gutes Argument für den Erlass eines entsprechenden Beschlusses.

Du bekommst jetzt langsam ein flaues Gefühl im Magen, nicht wahr? Fragst Dich, ob Du in Deinem my home is my castle auch tatsächlich sicher bist vor unangenehmem Durchsuchungen. Nun, dann habe ich mit diesem Beitrag mein heutiges Ziel erreicht. Ich mag auch keine Denunzianten, wollte aber wenigstens mal gesagt haben, wie dünn das Eis ist, das Dich als Richtervorbehalt vorm Sturz ins eiskalte Wasser schützt.

Beweiswürdigung

Was passiert eigentlich bei der „Beweiswürdigung“?

Von Beweisaufnahmen vor Gericht wissen viele nur Folgendes: Max Mustermann wird als Zeuge aufgerufen, macht eine Aussage und geht. Dann wird Michaela Musterfrau als Zeugin vernommen, behauptet das Gegenteil und geht ebenfalls. Am Ende gibt es ein Urteil, das darüber entscheidet, ob jemand schuldig ist oder nicht. Woher die Gerichte wissen, ob der Mustermann oder die Musterfrau gelogen haben, bleibt im Dunkeln.

Die Kunst, dies zu entscheiden, nennt man Beweiswürdigung. Es ist der geheimnisvollste Teil eines Strafprozesses. Im Fernsehen sieht man nie etwas davon und auch in der Realität findet die Beweiswürdigung hinter verschlossenen Türen statt. Ebenso mysteriös wie der Ablauf der Beweiswürdigung ist die Tatsache, dass es gleich zwei verschiedene Arten davon gibt.

Manchmal steht nämlich Aussage gegen Aussage, es gibt also nur einen vermeintlichen Täter und ein angebliches Opfer. Dies ist häufig aber nicht nur bei Sexualdelikten der Fall, weil diese ja gerne unter vier Augen stattfinden. In solchen Fällen sind die Richter aufgefordert, die belastende Zeugenaussage einer »besonderen Glaubwürdigkeitsprüfung« zu unterziehen. Erforderlich ist dann eine »sehr sorgfältige Inhaltsanalyse der Angaben, eine möglichst genaue Prüfung der Entstehungsgeschichte der belastenden Aussage, eine Bewertung des feststellbaren Aussagemotivs, sowie eine Prüfung von Konstanz, Detailliertheit und Plausibilität der Angaben.« (ständige Rechtsprechung des BGH).

In allen anderen Fällen, wenn es also mehrere Zeugen gibt oder darüber hinaus noch sonstige Beweismittel (Urkunden, Sachverständige usw…), dann gelten diese hohen Anforderungen seltsamerweise nicht. Ob die Gerichte dann nur eine „Beweiswürdigung light“ durchführen, weiß ich nicht. Es bleibt ja geheim.

Für den Normalfall gilt also der Grundsatz: Ob die Musterfrau oder der Mustermann gelogen hat, entscheidet allein das Gericht im stillen Kämmerlein. Und was die Strafkammer eines Landgerichts für die Wahrheit hält, ist und bleibt die Wahrheit. Daran lässt sich nicht mehr rütteln, es gibt keine weitere Instanz, die diese Tatsachenfeststellungen ändern könnte. Zweifelsohne eine der ganz großen Schwachpunkte des Strafprozesses. Versuche, dies zu ändern (etwa durch Tonbandmitschnitte der Hauptverhandlung) werden von interessierter Seite konsequent abgeblockt. Infolgedessen steht über die dreitägige Aussage des Hauptbelastungszeugen (und aller anderen auch) nur ein einziger Satz im Protokoll: Der Zeuge bekundete zur Sache.

Wie kann es aber sein, dass um die Wahrheit so gestritten wird? Gibt es denn mehrere Wahrheiten?

Wenn Du, geneigter Leser, eine Weinstube verlässt, ohne Deinen Riesling zu bezahlen, sieht ein Staatsanwalt darin umgehend eine Zechprellerei. Vielleicht hat aber auch der Wirt zuvor gesagt: »Der geht auf´s Haus.« Oder Du erhieltest einen Anruf, der so dringend war, dass Du in der Hektik das Bezahlen glatt vergaßest. Oder der Wein war so hundsmiserabel und korkschmeckend, dass Du es schlichtweg abgelehnt hast, ihn zu bezahlen, oder … Es gibt vielleicht nicht verschiedene Wahrheiten, aber jede Geschichte hat mehrere Seiten. Die richtige Seite herauszuarbeiten ist, worum es geht und von welcher Seite ein Geschehen zu betrachten ist, lohnt allemal den Streit darum.

Wenn es aber so schwierig ist, die Wahrheit aus lauter unterschiedlichen Schilderungen zu extrahieren, ist dann das Fachpersonal wenigstens besonders darin geschult? Leider muss ich Dich enttäuschen, denn wissenschaftliche Untersuchungen zum Thema liefern triste Ergebnisse.

Am gefährlichsten ist die Maxime aller Kriminalpolizisten: das Bauchgefühl. Sein Wert entspricht der Wahrscheinlichkeit beim Würfeln. Die Chance, einen Lügner dadurch zu erkennen, ist genauso hoch wie die, einer wahrheitsgemäß aussagenden Person nicht zu glauben.

Richter gelten im Vergleich mit Polizisten als eher objektiv und argumentieren nicht mit dem Bauchgefühl, sondern mit ihrem persönlichen Eindruck von dem Zeugen. Der unterliegt aber nicht minder irrationalen Einflüssen. Vor der Mittagspause neigen sie eher zu Schuldsprüchen als danach. Die Glaubwürdigkeit wird rein intuitiv beurteilt, nach Alltagstheorien oder – so formulierte jüngst ein Richter in einem Fachaufsatz – »nach Begründungsmustern, die wissenschaftlich meist wertlos sind“. So jedenfalls will es die Forschung festgestellt haben und liefert auch gleich eine Statistik dazu. Um 50% liege die Trefferquote bei der Glaubwürdigkeitsbeurteilung. Das entspricht ziemlich genau den Möglichkeiten, die man bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Zeugen überhaupt hat: Ja oder Nein.

Der Grund, warum die Strafgerichte ihre Urteile trotzdem nicht auslosen, liegt in einem Umstand begründet, welcher der Vollständigkeit halber zumindest erwähnt werden soll. Die umfassende Beweiswürdigung beinhaltet nämlich zwei Aspekte, zum einen die Glaubhaftigkeit einer Aussage und zum anderen die Glaubwürdigkeit des Zeugen. Zumindest der erste dieser Aspekte ist einer rationalen Überprüfung durchaus zugänglich. Wer mir erzählt, ohne technische Tricks eine Stunde tauchen zu können, ist genauso unglaubwürdig wie der, der es gesehen haben will. Da ist die Aussage inhaltlich schon falsch, weshalb die Glaubwürdigkeit des Zeugen irrelevant erscheint.

Aber was ist mit den echten Zweifelsfällen, die wirklich als reine Glaubensfrage zu entscheiden sind?

Auch hierzu gibt es Untersuchungen. Sie geben Grund zur Beunruhigung. Professoren haben für so etwas immer beeindruckende Begriffe, sprechen vom Perseveranz-Effekt und der kognitiven Dissonanztheorie, vom Pappenheimer-Syndrom und dem Inertia-Effekt. Gemeint ist etwas ziemlich Einfaches: Legt man dem Gericht eine Akte vor, die zu Beginn immer nur belastendes Material enthält, werden die entlastenden Gesichtspunkte im hinteren Aktenteil kaum noch zur Kenntnis genommen. Wer je eine Strafakte durchgeblättert hat, wird nun wissen, warum sie genau so aufgebaut ist.

Was Presse und Justiz oft beleidigt als »Konfliktverteidigung« diffamieren, ist vor diesem Hintergrund nichts anderes, als der Versuch der Strafverteidigung, auf die Wahrheitsfindung eines sich sakrosankt wähnenden Gerichts irgendwie Einfluss nehmen. Vielleicht führt ja noch ein anderer Zeuge weiter, eventuell bringt der nächste Beweisantrag ans Licht, dass es anders gewesen sein könnte. Es ist ein einsamer Kampf gegen immer höhere Hürden. Aber es ist Deine einzige Chance.

Richterliche Unabhängigkeit

Wie weit geht eigentlich die „richterliche Unabhängigkeit“?

Das Netz ist voll von skurrilen Urteilen. Ich erwähne hier nur mal zwei herausragende Beispiele (mit Quellenangabe, falls es jemand nicht glauben will):

1.) Das Landgericht Stuttgart hat einst verlauten lassen, was es von der Urteilsfindung in oberen und höchsten Gerichten hält:

»Die entsprechende Rechtsprechung des BGH ist für das Gericht obsolet. Beim BGH handelt es sich um ein von Parteibuch-Richtern der gegenwärtigen Bonner Koalition dominierten Tendenzbetrieb, der als verlängerter Arm der Reichen und Mächtigen allzu oft deren Interessen zielfördernd in seine Erwägungen einstellt und dabei nicht davor zurückschreckt, Grundrechte zu mißachten, wie kassierende Rechtsprechung des BVerfG belegt.
Die Rechtsprechung des 9. Senats des OLG Stuttgart ist der des BGH konform, ja noch »bankenfreundlicher«, sie ist von der (wohl CDU-) Vorsitzenden des Senats bestimmt, die der gesellschaftlichen Schicht der Optimaten angehört (Ehemann Arzt) und deren Rechtsansichten evident dem Muster »das gesellschaftliche Sein bestimmt das Rechtsbewußtsein« folgen. Solche Richterinnen haben für »kleine Leute« und deren, auch psychologische, Lebenswirklichkeiten kein Verständnis, sie sind abgehoben, akademisch sozialblind, in ihrem rechtlichen Denken tendieren sie von vornherein darwinistisch. »Banken« gehören für sie zur Nomenklatura, ehrenwerte Institutionen, denen man nicht sittenwidriges Handeln zuordnen kann, ohne das bestehende Ordnungsgefüge zu tangieren. Und immer noch spukt in den Köpfen der Oberrichter das ursprüngliche BGH-Schema herum, daß nämlich die sog. Privatautonomie als Rechtsinstitut von Verfassungsrang die Anwendung des § 138 BGB auf Fälle vorliegender Art verbiete, obwohl doch § 138 BGB die Vertragsfreiheit verfassungskonform limitiert.« (LG Stuttgart · Urteil vom 12. Juni 1996 · Az. 21 O 519/95, abgedruckt hier)

2.) Noch drastischer urteilte das Landgericht Mannheim, welches gleich alle Vorderpfälzer in einen Topf warf:

»Es handelt sich hier um eine Erscheinung, die speziell für den vorderpfälzischen Raum typisch und häufig ist, allerdings bedarf es spezieller landes– und volkskundlicher Erfahrung, um das zu erkennen – Stammesfremde vermögen das zumeist nur, wenn sie seit längerem in unserer Region heimisch sind. Es sind Menschen von, wie man meinen könnte, heiterer Gemütsart und jovialen Umgangsformen, dabei jedoch mit einer geradezu extremen Antriebsarmut, deren chronischer Unfleiß sich naturgemäß erschwerend auf ihr berufliches Fortkommen auswirkt. Da sie jedoch auf ein gewisses träges Wohlleben nicht verzichten können – sie müßten ja dann hart arbeiten –, versuchen sie sich “durchzuwursteln” und bei jeder Gelegenheit durch irgendwelche Tricks Pekuniäres für sich herauszuschlagen. Wehe jedoch, wenn man ihnen dann etwas streitig machen will! Dann tun sie alles, um das einmal Erlangte nicht wieder herausgeben zu müssen, und scheuen auch nicht davor zurück, notfalls jemanden “in die Pfanne zu hauen”, und dies mit dem freundlichsten Gesicht.« (LG Mannheim, Urteil vom 23.01.1997 – (12) 4 Ns 48/96, abgedruckt in NJW 1997, 1995f)

Da fragt sich mancher, ob die sowas dürfen. Die Antwort ist klar: Natürlich dürfen die das, denn Richter sind nur und ausschließlich dem Gesetz unterworfen. Das hat Konsequenzen in einem Land, das nach dem Verbotsprinzip lebt, wo also gilt, dass alles erlaubt ist, was nicht ausdrücklich verboten wurde. Grenzen setzt den Richtern folglich nur das Strafrecht. Beleidigen oder übel nachreden sollte man auch in einem Urteil nicht und irgendwo droht auch noch die Rechtsbeugung. Da urteilen dann Richter über Rechtsverstöße von Richtern – wahrscheinlich der am wenigsten zur Verurteilung führende Tatbestand des ganzen Rechts.

Da wir uns mittlerweile in der Weihnachtszeit befinden, könnte man sich da mal fragen, ob Richter auch über eine jungfräuliche Geburt entscheiden können. Du magst Dich, geneigter Leser, fragen, weshalb dies denn in unserer modernen Welt eine Rolle spielen sollte. Doch in der Juristerei gibt es nichts, das es nicht gibt. Es geschah nämlich tatsächlich in Hessen vor gut zwei Jahrzehnten, dass eine verheiratete Frau ein Kind gebar und selbstverständlich (= als Zeugin vor Gericht) behauptete, der Kindsvater sei ihr Ehemann. Nachdem dies durch Gutachten widerlegt worden war, fiel ihr ein, dass ein „Herr aus Hamburg“ sie mal geküsst hatte, weshalb sie wohl vom Küssen schwanger geworden sein müsse.

Der zuständigen Staatsanwaltschaft reichte dies für eine Anklage wegen uneidlicher Falschaussage, weshalb letztlich ein Strafrichter darüber zu entscheiden hatte, ob Frauen vom Küssen schwanger werden können. Und tatsächlich erinnerte sich der Amtsrichter an die in der Bibel erwähnte unbefleckte Empfängnis, auf der so wörtlich „immerhin die Kulturgeschichte des christlichen Abendlandes zu einem nicht unerheblichen Teil beruht.“ Er entschied folglich, dass der Frau eine Falschaussage nicht nachgewiesen werden könne und ließ die Anklage nicht zu.

Wer das jetzt verrückt findet, möge darüber nachdenken, was die Alternative wäre. Strafrecht ist eine Waffe und es gibt genügend Länder, in denen Strafrichter Instrument der Politik sind. Eine mit dem Segen der Justiz vorgeflunkerte Jungfrauengeburt ist eine Bagatelle gegen die ungezählten Menschen weltweit, die im Namen einer korrumpierten Gerechtigkeit hinter Gittern verrotten.

Rechtssprichwörter

Wozu nutzen eigentlich „Rechtssprichwörter“?

Wenn Juristen vom nemo-tenetur-Grundsatz oder vom venire contra factum proprium reden, tun sie das meistens, weil ihnen die Argumente ausgehen. So richtig im Volk verwurzelt sind diese Grundsätze schon deshalb nicht, weil dort die Lateinkenntnisse bedenklich nachlassen.
Eherne Rechtsprinzipien auf Deutsch sind selten und meistens schon so alt, dass sie fast genauso unverständlich wirken wie eine lateinische Sentenz. „Der Eid macht mündig“ ist so ein schwurbeliger Merksatz, den keiner mehr recht erklären kann. Unbekannt ist auch, warum dem Anderen billig sein soll, was dem Einen recht war. Der Verbraucherschutz hat uns das Prinzip „Augen auf, Kauf ist Kauf“ durchlöchert, darum gilt längst nicht mehr der Handschlag als Ausdruck des „Ein Mann ein Wort“.

Richtig kunterbunt wird es jedoch, wenn den Kindern im Lausbubenalter Strafrecht vermittelt werden soll. „Mitgegangen mitgefangen“ heißt es dann oder auch „mitgegangen mitgehangen“. Beides ist zweifelsohne falsch. Denn wer mitgeht ohne gefangen zu werden, hat Glück. Und wen der Staat nicht fängt, den hängt er auch nicht. Richtig wäre allein: Mitgefangen mitgehangen. Alles andere sind keine Rechtsgrundsätze, sondern lediglich Appelle an den Anstand. „Wenn du dabei warst, dann steh auch dazu“, wollen vorbildliche Eltern damit wohl ausdrücken. Das mag moralisch berechtigt sein, aus der Sicht des Strafverteidigers wäre es eher eine Dummheit.

Wer die Juristerei mit dem Pathos von Sitte und Anstand betreibt, rechtfertigt lediglich mein Lieblingszitat aus der Welt der Gesetze: Das Recht ist nicht für die Dummen da.

Drogeneinfluss

Woher kennen Richter eigentlich die „Wirkung von Drogen“?

Ein Standardproblem in vielen Strafprozessen ist die Frage, inwieweit der Täter verantwortlich ist für sein Tun. Der Gesetzgeber hält dies in manchen Fällen für zweifelhaft (Kinder, Schwachsinnige), darum müssen sich Gerichte immer dann, wenn Drogen im Spiel waren, die Frage stellen, ob der Täter ganz oder teilweise einem Kind oder einem Schwachsinnigen gleichzustellen ist.

Bei der Volksdroge Nr. 1, dem Alkohol, fällt dies noch leicht, weil jeder Durchschnittsbürger – somit auch die Richter – irgendwann in seinem Leben einmal oder mehrmals Erfahrungen damit gemacht hat oder nach wie vor macht. Ergab eine Blutprobe den Wert von 2,8 Promille, kann sich ein Richter also konkret etwas darunter vorstellen und weiß ziemlich genau, dass dieser Täter wohl eingeschränkt schuldfähig war, aber einen Schnaps zu wenig getrunken hat, um absolut schuldunfähig gewesen zu sein. Klingt nachvollziehbar.

Was passiert aber, wenn der Täter morgens einen Joint geraucht, mittags 2 XTC eingeworfen, nachmittags Pep gezogen und abends eine Line Koks geschnupft hat? War der jetzt völlig deppert (vergleichbar mit über 3 Promille) eher etwas matschig in der Birne (etwa 2,5 Promille beim geübten Trinker) oder nur leicht beschwippst (Oma nach drei Likörchen)?
Es ist immer wieder interessant, wie vor Gericht die Wirkung von Betäubungsmitteln quasi umgerechnet wird in einen Alkoholrausch. Man merkt es an den Fragen der Richter und Staatsanwälte, die darum bemüht sind, zu verstehen.

Auch wir Anwälte sind nicht über das Problem erhaben. Ich finde es manchmal rührend, wie Kollegen sich bemühen, im Plädoyer die Auswirkungen eines Drogenrausches schuldmindernd zu erklären, von dem ihnen jegliche Vorstellung fehlt. Da wird wohl eher die Erfahrung aus studentischen Bier-Exzessen rekapituliert, was Richter auch verständig nickend zur Kenntnis nehmen, weil das Plädoyer sich in diesem Punkt genau mit ihrem eigenen Erfahrungshorizont deckt. Der Szene-Verteidiger aus Berlin-Kreuzberg würde an ihrer Stelle tunlichst die Behauptung vermeiden, die Wirkung des Kokains habe sich durch exzessiven Alkoholkonsum noch verstärkt. Denn er weiß, dass das Gegenteil der Fall ist.

Meines Wissens gibt es weder in der Aus- noch in der Fortbildung praxisbezogene Kurse zum Drogenkonsum (wäre auch schlecht für die Fahrerlaubnis). Nicht grundlos nennt man Drogen auch „verbotene Substanzen“, da wollen sogar Juristen ausnahmsweise einmal nicht mit ihrem überlegenen Fachwissen prahlen. Was also tun?
Man könnte es machen wie die Polizei bei der Vernehmung: Tasse Kaffee, Zigarette und ein vorgedruckter Protokollvermerk („Seine Gedankengänge waren klar und geordnet“). Zweifel am Geisteszustand ihrer Kundschaft lassen die erst gar nicht aufkommen. So einfach hat es ein Richter aber nicht, weil den permanent ein Anwalt nervt und behauptet: „Mein Mandant wusste nicht, was er tat.
Darum greifen Richter in solchen Fällen zurück auf Sachverständige. Die pfeifen sich zwar auch nicht den ganzen Tag seltsame Substanzen rein, tun aber trotzdem so, als hätten sie Ahnung davon. Aus meiner Sicht ein eher zwielichtiger Abschnitt des Strafprozesses. Alle behaupten, sie könnten sich jetzt genau vorstellen, wie der Angeklagte damals drauf war. Dann wird über dessen Wohl und Wehe entschieden.

Um nicht falsch verstanden zu werden: Mir leuchtet schon ein, dass Mediziner durch Befragungen und Analysen des Konsumverhaltens, gestützt auf Tests und objektiv erhobene Werte gewisse Krankheitsbilder erkennen können. Daraus lassen sich gewiss auch Rückschlüsse auf zurückliegende Zeiträume und für künftiges Verhalten ziehen. Aber wie zum Teufel stellt so ein Sachverständiger heute fest, ob der Nafri auf der Kölner Domplatte in der Silvesternacht 2015/16 zugedröhnt war oder nicht???

Das Angebot an Stöffchen ist fast schon unüberschaubar. Dann wird noch gestreckt und gemischt, bis der Konsument selbst nicht mehr weiß, was er im Blut hat. Aber der Herr Professor weiß es trotzdem. Angeblich.
Letztlich ist es der Grundsatz in dubio pro reo, der weiterhilft. Ein Angeklagter, der brav die Standardfloskeln herunterbetet, wird mit der avisierten Strafmilderung belohnt. Weil der Professor es für nachvollziehbar hält. Wer eher exotische Auswirkungen der Droge schildert, läuft Gefahr, den Professor als unwissend zu entlarven. Das quittiert der mit einem „unglaubwürdig“. Ein Strafabzug von immerhin rund 25% wird dann nicht gewährt.
Aber Vorsicht: Die Justiz weiß, dass sie bei der Feststellung des Drogenrausches gern an der Nase herumgeführt wird. Darum hat sie Mittel und Wege, dem inflationären Einsatz dieser Taktik vorzubeugen. Wer es übertreibt, landet schnell im Maßregelvollzug, also einer Zwangstherapie in geschlossenen Anstalten. Die Dauer einer solchen Maßnahme kann über die der verhängten Haft hinausgehen.
Ratsam ist es darum häufig auch, die zugedröhnte Birne dezent zu verschweigen. Der Richter weiß es ja nicht besser. Und der Professor schon gar nicht.

Verlobung

Welche Rechtsfolgen hat eigentlich eine „Verlobung“?

Dieser Tage waren die Schlagzeilen mal wieder voll davon. Ich vermute, die Klatschblätter werden bis Weihnachten nichts anderes mehr berichten. Denn ein Abkömmling des britischen Staatsoberhauptes hat sich verlobt.
Auch bei uns im Lande sind Verlobungen populär, weil ein sogenanntes soziales Netzwerk den Beziehungsstatus „verlobt“ kennt, was dort soviel heißt wie „soeben aus der Disco abgeschleppt“.
Neben Thronfolgern und Halbstarken finden auch Strafverteidiger das Thema hochinteressant, allerdings relativ unbeeindruckt von Regenbogenpresse und Beziehungsstatus. Was uns daran fasziniert, ist das Recht zu schweigen.

Schweigen spielt im Strafprozess eine große Rolle, denn nicht jedem, der einfach nur nichts sagen möchte, ist dies auch erlaubt. Grundsätzlich hat jeder Zeuge umfassend und wahrheitsgemäß auszusagen. Er hat ferner – und das wird häufig übersehen – auch die Pflicht, sich überwachen zu lassen durch Observierung, Abhören seiner Telefonate oder Anzapfen seiner Rechner. Ausnahmen hiervon sind spärlich gesät, sie gelten derzeit eigentlich nur für zwei Berufsgruppen, die absolut unantastbar sind: Priester und Strafverteidiger.
Die Bundestagsabgeordneten als Macher des Gesetzes haben sich selbst natürlich auch privilegiert. Journalisten behaupten gerne, sie würden „Quellenschutz“ gewähren. Wie ein Blick in § 20u Abs. 2 des BKA-Gesetzes zeigt, kann man sich da jedoch nicht so sicher sein. (Ab Mai 2018 gibt es wieder ein paar mehr geschützte Berufe. Journalisten werden trotzdem nicht dazu gehören).
Darf also Otto Normalverbraucher sich schon nie ganz sicher sein, dass „die Dienste“ nichts alles von ihm erschnüffeln, so bleibt ihm doch wenigstens erspart, auch noch selbst alles über sich erzählen zu müssen – sofern er verlobt ist. Da wir in modernen Zeiten leben, muss die Verlobung übrigens nicht zwischen Mann und Frau stattfinden. Die „Verlobung für alle“ ist schon länger als die gleichnamige Ehe Gesetz.
Was nicht geht, ist eine bigame oder polygame Verlobung. Da ist der Gesetzgeber eher konservativ. Man muss also unverheiratet sein und sich für einen einzigen künftigen Partner entscheiden. Hier liegt der wesentliche Unterschied zur Verlobung als Netzwerkbeziehungsstatus.

Formal geht es erheblich unkomplizierter zu als bei der Eheschließung.
Wenn der Zuhälter seine Bordsteinschwalbe grün und blau prügelt und ihr dann kurz bevor sie dazu vernommen wird ein „Schatz willst du mich heiraten“ zuruft, reicht ein Kopfnicken der Dame. Reden kann sie ja wahrscheinlich noch nicht wieder.
Wie die Polizei dann den Täter der Körperverletzung feststellt, bleibt ihr überlassen. Das Opfer jedenfalls darf schweigen und ist dadurch in einer besseren Position als andere Opfer desselben Zuhälters. Die müssen umständlich herumlügen („Kann mich nicht erinnern.“, „Es ging so schnell, hab keinen erkannt.“, „Hab den Typen vorher noch nie gesehen.“).
Damit sind wir auch bei einem Hauptanwendungsfall dieses Zeugnisverweigerungsrechtes. Strafprozessual findet die Verlobung nämlich überwiegend in gewaltexzessiven Beziehungen statt. Ein Umstand, der Verteidiger fast zu Tränen rührt. Immer wenn so eine Dumpfbacke seine Partnerin brutal zusammengeschlagen hat, wenn die Beweislage so klar ist, dass ihm eigentlich keiner mehr helfen könnte, dann siegt plötzlich die Liebe und Täter und Opfer versprechen sich die Ehe. Der Schreibtisch in meinem Besprechungszimmer ist an der Unterseite heftig zerkratzt, weil ich ihn in solchen Momenten mit den Fingernägeln malträtiere.
Wie viele dieser Verlobungen auch vor dem Traualtar enden, habe ich statistisch noch nicht erfasst. Eine Einladung zur Hochzeit blieb mir wenigstens in solchen Fällen bisher erspart.

Kritiker unseres Rechtssystems werden jetzt wieder nörgeln und die umgehende Abschaffung des Zeugnisverweigerungsrechtes für Verlobte fordern. Sind sie zu idealistisch, werden sie vom Kampf um die Wahrheit schwafeln, kommen sie eher aus der law-and-order-hardliner-Ecke, lügen sie uns den Kampf für die Frauenrechte vor, die dort nur dann von Bedeutung sind, wenn man Gesetzesverschärfungen damit begründen kann.
Doch machen wir uns nichts vor: Wenn sie ihn nicht verpfeifen will, wird sie dies so oder so nicht tun. Eher macht sie eine Falschaussage. Das ist nämlich häufig die Folge, wenn eine Verlobung vom Gericht nicht anerkannt wird, weil zB. einer der Beteiligten noch verheiratet ist.

Die strafprozessuale Bedeutung der Verlobung liegt wohl auch darin, Menschen im Taumel ihrer Gefühle unnötige Einmischungen durch den Staat zu ersparen. Meines Erachtens eine brauchbare Lösung, solange die beiden – trotz allem – einfach nicht voneinander lassen können.
Irgendwann ist es aber vorbei und dann kommt der Augenblick, die Verlobung feierlich wieder zu lösen. Bewährt hat sich eine SMS mit dem Götz-von-Berlichingen-Zitat oder eine WhatsApp-Nachricht mit Stinkefinger-Emoj. Im Gegensatz zur Ehescheidung ist das ohne anwaltlichen Beistand möglich. Ob es auch klug ist, möchte ich eher bezweifeln. Im Hintergrund lauert nämlich schon der Staatsanwalt, der es nie verwinden konnte, dass seine Anklage wegen eines Scheinverlöbnisses zum Freispruch führte.
Wer bisher noch keinen Verteidiger hatte, sollte sich jetzt einen nehmen.

Wahlrecht

Bundestagswahl 2017

In Berlin ist die Aufregung groß wegen der nicht zustande gekommenen Jamaika-Koalition. Dabei ist noch immer nicht geklärt, ob die letzte Bundestagswahl gültig war. Ernstzunehmende Stimmen halten die Wahl für verfassungswidrig wegen der zu hohen Zahl an Überhangmandaten. Denn das BVerfG hat bereits am 25.7.2012 geurteilt, dass mehr als 15 Überhangmandate unzulässig sind (BVerfGE 131,316).

Das Wahlrecht steht im Brennpunkt machtpolitischer Interessen. Darum wurde es immer nur halbherzig reformiert. In dem Büchlein „Dexheimers Gedanken“ habe ich mir vor längerem bereits Gedanken darüber gemacht, was man am Wahlrecht noch so ändern könnte:

Heute vor 60 Jahren trat das Bundeswahlgesetz in Kraft, dessen wesentliche Neuerung die 5%-Sperrklausel war. Umfragen aus jener Zeit belegen, dass die Mehrheit der Deutschen statt dessen lieber einen Einparteienstaat gehabt hätte. Da war wohl die jüngere Geschichte noch nicht ganz verarbeitet.
Heutzutage wird am Wahlrecht nur noch wegen der Überhangmandate herumgedoktert. Ansonsten gilt es als bewährt. Als ob es nicht immer noch etwas zu verbessern gäbe.

Anlässlich der Präsidentschaftswahl im Iran ist mir eine nette Regelung dort – ja, bei den bösen Mullahs – aufgefallen: Wenn nämlich am Ende des Wahltages noch großer Andrang herrscht, kann jeder lokale Wahlleiter die Wahlzeit notfalls bis Mitternacht verlängern. Das ist doch mal echt bürgerfreundlich.
Bei uns muss unabänderlich um 18 Uhr feierlich das Ende der Wahl verkündet werden, damit zwei Stunden später die Berliner Runde zusammentreten kann. Dort schwadronieren sie dann über den Wählerwillen.

Ein zeitlich offener Wahlausgang würde dieses Ritual vereiteln, weshalb Parteien und Medien in trauter Eintracht verhindern werden, dass die Wähler auch nur eine Minute mehr zur Stimmabgabe erhalten.
Alle Macht geht vom Volke aus? Ich fürchte eher, alle Macht geht dem Volke aus.

Kinderschänder

Wie verteidigt man eigentlich einen „Kinderschänder“?

Der Mann schnappte sich die 4jährige Lisa und missbrauchte sie brachial. Mehrfach urinierte er auch auf sie. Das Kind überlebte mit schweren inneren Verletzungen. Er hatte ihre Eingeweide regelrecht zerfetzt.
Ich habe lange überlegt, ob ich die Überschrift zu diesem Beitrag mit „Wozu“ beginnen sollte, mich dann aber für das „Wie“ entschieden. Denn die grundsätzliche Überzeugung, dass dieser Mann verteidigt werden muss, steht für mich nicht zur Diskussion.
Irgendwann treffe ich ihn in einer Haftzelle, wo er stumm zu Boden starrt. Wahrscheinlich bin ich der Erste, der ihn zum Reden bringt, denn bisher hat er stur geschwiegen. Solche Täter wollen ihre Taten nicht wahrhaben. Ich kenne die Akte, die Spuren, die unzähligen Beweise, die Fotos. Dennoch lautet meine erste Frage: „Stimmt es, was man Ihnen vorwirft?“
Die Öffentlichkeit hat sein Urteil längst gefällt: Schwanz ab und dann möglichst elendig verrecken lassen. Aber ich gebe ihm wenigstens die Chance, alles abzustreiten, nur für eine Sekunde nochmal zu sein, was er nie wieder sein wird: unschuldig.
Es gibt Täter, die jetzt leugnen, dies auch nach intensivster Beratung weiter tun und bis zum letzten Tag der Haft behaupten werden, die Tat nicht begangen zu haben. Dann ist es die Aufgabe des Strafverteidigers, sie mit dieser Lebenslüge, die jetzt alles ist, was ihnen blieb, durch den Prozess zu führen. Ich würde am Ende zwar nicht auf Freispruch plädieren, aber es ist auch nicht mein Job, solche Mandanten täglich zum Geständnis zu ermahnen.
Die Verteidigung des leugnenden Angeklagten, von dem man weiß, dass er es war, soll aber heute nicht mein Thema sein.

Gesteht der Inhaftierte hingegen seine Tat, ist es lange nicht damit getan, nun „ein mildes Urteil“ zu beantragen, das er ohnehin nicht verdient hat. Das Monströse dieser Schandtat rührt an Urinstinkte, denen sich niemand entziehen kann. Die Gefahr, dass es „mit den Vorschriften nicht so genau genommen“ wird, ist in solchen Verfahren allgegenwärtig. Das beginnt schon mit einer kleinen Verspätung des Gerichts bei Prozessbeginn, damit die Presse ein paar Minuten länger draufhalten kann. Macht der Täter Angaben zu sich oder seiner Tat, wird er gerne unterbrochen, gar als zu weitschweifig kritisiert. Die erbetene Pinkelpause bekommt er „jetzt noch nicht“. Zu Anträgen, die er stellen möchte, „kommen wir später“.
Wenn Du, geneigter Leser, Dich einfach mal fragst, ob Du diesen Täter anders als „normale“ Verbrecher behandeln würdest, wirst Du verstehen, was ich meine: Auch Gerichte versagen bisweilen gegenüber ihrem eigenen Anspruch auf Neutralität. Darum braucht es eine klare Rollenverteilung. Einer muss strikt für die Rechte des Angeklagten eintreten. Weil es seine Aufgabe ist, nicht weil er die Tat verteidigt oder gar mit ihr sympathisiert.
Der Anwalt wird dann zum kleinlichen Buchhalter des Rechts, zum Verteidiger der Formalien. Die Strafprozessordnung ist keine andere, nur weil hier Abscheuliches verhandelt wird. Ihr muss als ein „ethisches Minimum“ (Jellinek) auch und besonders in solchen Verfahren Geltung verschafft werden.
Irgendwann kommt die Rede auf das Urinieren. Lisas Mutter bricht erneut in Tränen aus. „Warum das auch noch? Weshalb diese Demütigung“, schreit sie. Der Vorsitzende ist gereizt wegen der aufgeladenen Stimmung. Er will diesen Punkt schnell abhaken. Aber der Mandant möchte erklären, also bestehe ich auf seinem Rederecht. „Es war nicht gegen das Kind gerichtet“, sagt er dann. „Man macht das nur, damit es besser flutscht.“
Für die Mutter sicherlich kein Unterschied, für das Gericht schon. Im Urteil wird das Urinieren keine Rolle mehr spielen. Zumindest wird dieser Aspekt sich nicht strafschärfend auswirken.

Manchmal, wenn die Sitzungstage lang, aber mit häufigen Pausen durchzogen sind, verbringt man sehr viel Zeit alleine mit solch einem Täter. Dann führt man Smalltalk. Das Essen im Knast, die Bundesliga, das Wetter. Vielleicht gibt es auch etwas Lustiges zu berichten, vergisst man einen Augenblick lang, worum es hier geht und schon passiert es: Gemeinsam Lachen mit dem Monster.
Für Beobachter im Gerichtssaal unbegreiflich, für mich Erinnerung daran, dass es immer noch ein Mensch ist, neben dem ich dort auf der Anklagebank sitze. Denn nur darum geht es noch. Kein Mensch darf bloßes Objekt staatlichen Handelns werden, betont das Bundesverfassungsgericht immer wieder. Der Kinderschänder ohne Verteidiger würde genau dies.

Übrigens: Ob und wie die Persönlichkeit eines solchen Menschen gestört ist, entscheiden Gutachter. Ich werde in solchen Fällen, nur mit dem Satz konfrontiert, den die Stammtische in diesem Land als Standardausrede jedes Delinquenten verachten: „Ich hatte eine schwere Kindheit.“ Meistens höre ich das schon im ersten Termin mit ihm. Wir sprechen dann kurz darüber, damit ich verstehe, was er meint. Vater gewalttätig, Mutter Trinkerin, frühe Scheidung der Eltern, Kindheit auf der Straße, Jugend in der Gosse. Nichts Besonderes also, kein Grund für irgendeine Tat.
„Ich wog bei meiner Geburt bereits 5 Kilo, meine Kindheit war auch schwer“, sage ich dann. Anschließend reden wir nie wieder über das Thema.

Austausch

Kollegialer Austausch

Juristen, die sich als „teamfähig“ oder „Teamplayer“ bezeichnen, sind mir suspekt. Das juristische Arbeiten findet im Kopf statt und ist von taktischen Erwägungen geprägt. Schlechte Voraussetzungen für Teamarbeit. Man spielt ja auch nicht Schach als Team. Insbesondere Strafverteidiger sind Einzelgänger.
Ein kollegialer Austausch hin und wieder schadet aber nicht. Man kann ja ruhig mal über den Tellerrand hinausschauen oder sich dafür interessieren, was Kollegen so machen.
Bei einem solchen Austausch ist vor Jahren einmal ein Bild von mir entstanden, das ziemlich treffend zeigt, wie ich mich am liebsten austausche.

Kollegialer Austausch

Mee too

Mee too schon wieder verpufft?

Eine Juristin wird in der Referendarzeit ausfällig gegenüber ihrem Ausbilder. Die Anwaltskammer verweigert ihr deshalb die Zulassung zum Anwaltsberuf, weshalb sie sich durchklagt und letztlich vor dem Bundesverfassungsgericht gewinnt.

So weit, so gut – oder so schlecht. Mir ist das egal.

Juristische online-Medien berichten dann von dem Fall und zwar so:

Und so:

Ich stehe ja nicht in dem Verdacht, ein Vorkämpfer des Feminismus zu sein. Die Bebilderung der Berichte finde ich aber irgendwie schräg. Die Frau hat sich durch ihr freches Mundwerk in Probleme hinein und mit Köpfchen wieder herausmanöveriert.

Beides kann ich auf den Fotos gerade nicht erkennen.

Pflichtverteidigung

Was bedeutet eigentlich „Pflichtverteidigung“?

„Ich habe kein Geld, also muss der Staat mir einen Verteidiger bezahlen“, hört man hier. „Pflichtverteidiger taugen nichts, nimm Dir lieber einen richtigen Anwalt“, tönt es aus der anderen Ecke. Beide Aussagen sind falsch, egal wie oft sie wiederholt werden.
Zunächst einmal vorweg: Den Pflichtverteidiger gibt es nicht „umsonst“ oder „auf Staatskosten“. Wirst Du wegen einer Straftat verurteilt, musst Du auch die Kosten des Pflichtverteidigers zahlen. Allerdings dürfte die Wahrscheinlichkeit, dass es dazu kommt, mit einem Verteidiger an Deiner Seite etwas geringer sein.
Ob der Staat Dir einen solchen beiordnet, hängt von der vorgeworfenen Straftat ab, nicht von Deinen Finanzen. Als Faustregel gilt: Ab einer Straferwartung von einem Jahr musst Du mit einem Verteidiger vor Gericht erscheinen. Kommst Du ohne, sucht das Gericht einen für Dich aus. Du darfst allerdings frei wählen, also „Deinen“ Verteidiger beiordnen lassen.

Daraus folgt zweierlei:

Mörder, Räuber, Vergewaltiger usw. können einen Pflichtverteidiger beantragen, selbst wenn sie Millionäre sind.
Ladendiebe, ebay-Betrüger, Schwarzfahrer usw. bekommen nicht schon deshalb einen Pflichtverteidiger, weil sie keine Kohle haben. Аusnahmen gibt es – wie immer bei Juristen – viele. Stehst Du bereits unter Bewährung, beschert Dir auch der halb abgenagte Muster-Lippenstift, der in der Drogerie zufällig und unbemerkt in Deine Tasche gefallen ist, einen Pflichtverteidiger.

Was leistet er nun, dieses Wunderwesen von dem irgendwann im Strafverfahren alle reden?

Nun, er macht das, was Dein Bäcker um die Ecke auch tut. Hat er Freude am Beruf und das nötige Fachwissen, dann kreiert er die absolut geniale siebenstöckige Sacher-Käse-Sahne-Schwarzwälder-Hochzeits-Kirschtorte mit Amaretto-Limettengeschmack und einem Hauch von Lebkuchen und Ingwer von der Du Dein Leben lang schwärmen wirst. Ist er hingegen völlig bocklos und wäre zudem lieber Autoschlosser geworden, backt er eben das Brötchen von vorgestern auf. Dann wird aus der Pflichtverteidigung die gefürchtete Palliativverteidigung, die bloße Urteilsbegleitung.

Freispruch oder Knast liegen gefährlich nahe beieinander. Mit dem falschen Verteidiger an Deiner Seite eliminierst Du also problemlos alle Risiken, die ein Strafprozess sonst noch so bietet und landest ebenso problemlos hinter Gittern.
Darum: Augen auf bei der Verteidigerwahl! Als Pflichtverteidiger bekommst Du sicher nicht den Besten, aber mit dem Schlechtesten musst Du Dich auch nicht zufrieden geben.

Kartoffelgefahr

Gefahr für die deutsche Kartoffel

Eine Gesetzesänderung von kaum überschaubaren Auswirkungen auf den Verbraucher wurde nun im Bundesgesetzblatt veröffentlich und ist daher seit dem 5.11.2017 wirksam.

Konkret geht es um Artikel 2 zur 13. Änderungsverordnung zur Pflanzenbeschauverordnung. Dort war bisher geregelt, dass die berufliche oder gewerbliche Einfuhr von Kartoffeln aus den Herkunftsländern Polen und Spanien mindestens einen Tag vor Ankunft der Kartoffel den Behörden gemeldet werden muss.

Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft hat nun jedoch die Anwendbarkeit dieser Vorschrift auf Kartoffeln aus Spanien gestrichen. Grund dafür dürfte wohl die Befürchtung sein, von Madrid sonst mit einem internationalen Haftbefehl verfolgt zu werden.

Außerdem wurde § 15 Absatz 1 Nummer 2 Buchstabe a nun wie folgt gefasst: „a) § 1b Absatz 1 Satz 1 oder Absatz 2 Satz 1 oder«. Was immer dies auch bedeuten mag. 

Ordentlich behördlich beschaut werden daher künftig nur noch polnische Kartoffeln. Für weitere Rückfragen zu dem Thema wenden Sie sich vertrauensvoll – bloß nicht an mich!

Verschollene STA

Staatsanwaltschaft spurlos verschwunden

Eine schwere staatsgefährdende Straftat droht derzeit in Kreuznach ungesühnt zu bleiben, weil die zuständige Verfolgungsbehörde sich verdünnisiert hat.

Auslöserin des Skandals ist nach bisherigen Recherchen eine resolute ältere Dame, die sich mit ihrem Schwiegersohn überworfen hat: „Ich wollte von meiner letzten Kaffeefahrt berichten, aber er wollte unbedingt Sportschau gucken. Dann hat er mich auch noch „Pflaumenelse“ genannt. Das geht zu weit“, berichtet die aufgebrachte Seniorin. Beleidigung auf sexueller Grundlage diagnostizierte sie nach kurzer Beratung mit ihrem Damenteekranz und schritt zur Tat.

Was dann geschah, ist überwiegend ungeklärt. „Ich informierte telefonisch die Staatsanwaltschaft, schilderte das Problem und kündigte an, dass ich gleich vorbeikommen würde. Als ich aber vor dem Gebäude in der Ringstraße ankam, war niemand mehr da.“ Eine kurze Recherche bei Google – auch Seniorinnen sind ja mittlerweile mobil – führte zu einem merkwürdigen Ergebnis: „Dauerhaft geschlossen“, stand dort. Seither rätselt die ganze Stadt, wo die Staatsanwaltschaft geblieben sein könnte.

Eine Mitarbeiterin des Amtsgerichts, die namentlich nicht genannt werden möchte, hat so ihre eigene Theorie: „So richtig Bock auf’s Schaffen hatten die schon lange nicht mehr. Und wenn dann auch noch eine Oma anrückt mit so einem Wahnsinns-Fall, kann man schon mal Fluchtgedanken kriegen.“

Rätselhaft ist allerdings, wie es den Staatsanwälten zwischen dem Anruf und dem Auftauchen der Senioren gelungen ist, ihre Behörde komplett zu räumen. Insider gehen davon aus, dass die Aktion von langer Hand vorbereitet war. Kein Wunder, denn der vormalige Justizminister Heiko Maas hat in seiner Amtszeit bekanntlich einen selten erlebten Wust an unnützen neuen Strafgesetzen erlassen. Möglicherweise war dies das entscheidende Motiv für die ominöse Flucht.

Bei der Polizei hat man bereits erwogen, einen Fahndungsaufruf zu starten. Zuständig für eine solche Maßnahme wäre allerdings: die Staatsanwaltschaft. Mit ihrem plötzlichen Untertauchen hat die Behörde also zugleich die Fahndung nach sich selbst unmöglich gemacht. Es handelt sich eben um Profis.

Beim Rest der Justiz wird die Staatsanwaltschaft bisher nicht vermisst. Insbesondere die Strafgerichte sehen entspannten Zeiten entgegen. „Eigentlich haben die uns immer nur Arbeit gemacht“, hört man es auf den Gerichtsfluren munkeln. „jetzt können wir ganz entspannt der Weihnachtszeit entgegendösen.“

Hausdurchsuchung

Was passiert eigentlich bei einer „Hausdurchsuchung“?

Wenn der Postmann zweimal klingelt, soll dies bisweilen freudig-erregt aufgenommen werden. Ist es aber die Polizei, die hereinwill, dürften die Betroffenen andere Gedanken hegen.

„Einfach nicht öffnen“, könnte dann eine naheliegende Überlegung sein. Ein guter Rat ist das nicht, denn das Klingeln wahrt nur den Anschein der Höflichkeit. Wer die Tür nicht freiwillig öffnet, wird kurz darauf wissen, was das „Gewaltmonopol des Staates“ in der Praxis bedeutet.

Dass ein Amtsrichter die Durchsuchung vorher erlauben muss, ist heutzutage Allgemeinwissen. Betonen die Politiker doch bei jeder Verschärfung der polizeilichen Eingriffsrechte die hohe Bedeutung des Richtervorbehalts. Daran ist zumindest wahr, dass in der Tat regelmäßig ein richterlicher Durchsuchungsbeschluss vorliegt. Wie der zustande kam, soll hier vorerst nicht Thema sein.

Schlaumeier der Sorte „Google weiß Rat“ werden die Zeit, bis ihnen die eigene Haustür um die Ohren fliegt, dazu nutzen, sich schnell mit Argumenten aus dem Internet zu wappnen. Dort stoßen Sie regelmäßig auf drei angeblich äußerst nützliche Anweisungen:

1.) Prüfe den Durchsuchungsbeschluss sehr genau!

Dazu solltest Du, geneigter Leser, wissen, dass während Du – was eigentlich – prüfst, die Polizei schonmal Deine Schränke durchwühlt, Deine schriftlichen Unterlagen zerfleddert und in Deinen PC‘s nachschaut, was Du so treibst. Also lass das Prüfen, Du weißt eh nicht, worauf Du achten musst.

2.) Achte darauf, dass nur Deine Räume durchsucht werden!

Sätze wie „In diesem Zimmer wohnt nur meine Freundin“ oder „Ich habe hier nur einen Raum gemietet, den Rest des Anwesens darf nur der Vermieter betreten“ sind allenfalls dann angebracht, wenn die Durchsuchung in aller Herrgottsfrühe von einer Horde Morgenmuffel durchgeführt wird. Du verursachst damit nämlich Lachkrämpfe bei den Beamten und verbesserst die Stimmung ungemein.

3.) Verlange die Versiegelung der beschlagnahmten Papiere!

Wer das ernsthaft empfiehlt, hatte wahrscheinlich letztmals mit einer Durchsuchung zu tun, als Heinz Fischer gerade Bundespräsident wurde (das wurde er damals wirklich, allerdings in Österreich). Seither ist viel geschehen und wenn die Polizei die Erlaubnis zum Auslesen Deiner Papiere und Handys nicht gleich dabei hat, genügt ein Anruf.

Es trifft zu, dass die Durchsicht der Papiere ursprünglich mal dem Richter vorbehalten war und ab 1974 immerhin noch dem Staatsanwalt. Seit 2004 kann der Staatsanwalt diese Aufgabe aber an die Polizei delegieren und die entsprechende Vorschrift (§ 110 StPO) steht eigentlich nur noch deshalb im Gesetz, weil der Anschein erweckt werden soll, als würden Deine Persönlichkeitsrechte geschützt. Ehrlicher wäre es, den Paragraphen einfach zu streichen.

Kommen wir also zu dem, was wirklich wichtig ist:

1.) Mach keine Angaben zu gar nichts!

Klar kannst Du »Guten Morgen« wünschen und auf Nachfrage Deinen Namen sagen. Danach springe aber sofort weiter zu nachstehendem Punkt 2. Diskutiere nicht, rechtfertige Dich nicht, beantworte keine Fragen. Es mag ja sein, dass Du unschuldig bist, aber momentan glaubt Dir das leider keiner. Sonst würde Deine Wohnungstür nicht so aussehen, wie sie jetzt eben aussieht.

2.) Prüfe den Durchsuchungsbeschluss sehr genau!

Wie? Jetzt etwa doch? Ja, jetzt doch! Weil Du gleich erfährst, was Du dazu wissen musst: In jedem Durchsuchungsbeschluss steht, was gesucht wird. Zumindest sollte es dort stehen (ziemlich weit unten, kurz vor dem Ende). Wenn es sich tatsächlich um konkrete Gegenstände handelt, dann gib sie freiwillig heraus, denn damit ist die Durchsuchung erledigt. Steht da beispielsweise etwas von einer Schusswaffe, dann wird die Polizei die ohnehin finden. Also verursache nicht unnötig Probleme, notfalls leih Dir schnell eine bei Deinem Nachbarn und überreiche Sie den Beamten. Dann sind die zufrieden und ziehen ab.

Aber Vorsicht: Nicht immer sind die Durchsuchungsobjekte so genau bezeichnet, dass Du sie freiwillig herausgeben kannst. Wenn laut Durchsuchungsbeschluss einfach »Betäubungsmittel« gesucht werden, dann wird es Dir nichts nutzen, schamhaft errötet Dein Gramm Eigenbedarf auf den Tisch zu legen. Die suchen nämlich viel mehr und Du kannst nur hoffen, dass Dein Versteck gut ist (also nicht die Plastiktüte in der Klosettspülung!).

Ziemlich hoffnungslos ist Deine Situation auch, wenn der Ermittlungsrichter seine Lieblingsformulierung in den Durchsuchungsbeschluss geschrieben hat. Steht dort etwas über das »Auffinden von Beweismitteln, vor allem Unterlagen, Handys, PC´s usw.«, dann steht Dir das volle Programm bevor. Koch Dir einen Kaffee und springe zurück zu vorstehendem Punkt 1.

3.) Rufe einen Verteidiger an!

Das Recht auf einen Anwalt kann Dir niemand nehmen. Wenn der sein Geschäft versteht, wird er sich mit dem Verantwortlichen vor Ort verbinden lassen und anschließend entscheiden, welche weiteren Maßnahmen erforderlich sind. Das bedeutet nicht, dass er fünf Minuten später persönlich auftaucht (Hast Du schonmal darüber nachgedacht, wer das bezahlt?), aber er wird tun, was zu tun ist, um Dein Problem zu lösen.

Was das genau ist, wirst Du erfahren, wenn die Vorschussfrage geklärt ist. Bis dahin halte Dich an die obigen Ratschläge.

Opferanwalt

Was ist eigentlich ein „Opferanwalt“?

Immer wieder hört man Vorwürfe, der Strafprozess diene zu viel der Resozialisierung des Täters und zu wenig den Interessen des Opfers. Eine absurde Verdrehung der Tatsachen, denn es sind die Täter, die auf der Anklagebank sitzen und nicht selten deftige Strafen erhalten.

Natürlich gibt es bei manchen Straftaten auch Opfer, deren Interessen gewahrt werden müssen. Dies kann aber nicht zuvörderst Aufgabe eines Strafverfahrens sein. Gleichwohl macht es bisweilen Sinn, wenn auch Opfer an Prozessen teilnehmen und sich dabei anwaltlichen Beistandes bedienen. Gute Opfervertretung hat durchaus Möglichkeiten, einen Strafprozess entscheidend zu beeinflussen. Dazu benötigt der Anwalt aber zunächst einmal ein Handwerkszeug, das ihn den übrigen Prozessbeteiligten ebenbürtig macht, sprich: Erfahrungen als Strafverteidiger.

Ich habe es mir zur Gewohnheit gemacht, den Ernst zu nehmenden Opfervertreter schon sprachlich abzugrenzen vom selbst ernannten Opferanwalt, der sich eher auf das Händchenhalten oder das Taschentuchreichen versteht. Für Letzteres gibt es mittlerweile ohnehin die psychosozialen Prozessbegleiter. Dazu bedarf es keiner anwaltlichen Qualifikation.

In meinem Roman »Rheingold! Reines Gold« habe ich den Opferanwalt einmal so geschildert, wie er nicht sein sollte:

»Der Opferanwalt ist eine eher moderne Erscheinung im Strafprozess und eine seltsame Figur obendrein, weil es ihn eigentlich gar nicht gibt. Das Gesetz kennt keinen Opferanwalt.
Allerdings können Verletzte sich einem Strafverfahren als Nebenkläger anschließen und dabei auch anwaltlichen Beistand hinzuziehen. Man spricht dann vom Nebenklagevertreter. Ferner gibt es Zeugen, die bei ihrer Aussage lieber auf fachkundigen Rechtsrat bestehen. In diesen Fällen kommt der Zeugenbeistand zum Einsatz.
Kollegen, welche derartige Jobs übernehmen, titulieren sich selbst gerne als Opferanwalt. Der Unterschied zwischen einem Nebenklagevertreter oder einem Zeugenbeistand und dem Opferanwalt ist der Gesichtsausdruck während der Verhandlung. Opferanwälte schauen stets so, als seien sie persönlich das Opfer.
Beim Betreten des Gerichtssaales reichen sie der Mandantschaft meist den Arm, um ihre Rückendeckung körperlich sichtbar zu demonstrieren. Im Prozess reden sie ständig von Schmerzen und Leiden und psychischen Folgen, anstatt vernünftige Fragen oder Anträge zu stellen.
Eine bisweilen sehr eingeschränkte Qualifikation ersetzt der Opferanwalt regelmäßig durch überbordendes soziales Engagement. Sobald das Opfer bei der Zeugenaussage ein paar Tränchen verdrückt, ist er es, der das Taschentuch reicht.

Deshalb wird die Rolle des Opferanwaltes häufig von Frauen übernommen. Männer, die als Nebenklagevertreter auftreten und sich dennoch als Opferanwalt bezeichnen, sind meist nur gewissenlose Heuchler, die auf das Schmerzensgeld geiern, welches sie sich vom Opfer zu einem hohen Prozentsatz haben abtreten lassen. Sie warten nur darauf, das Opfer finanziell melken zu können. Im Gegensatz zu ihren Kolleginnen haben sie realisiert, dass sich die Opfervertretung nur rentiert, wenn der Täter hinterher zur Kasse gebeten werden kann.
So etwas lohnt sich vor allem, sobald Versicherungen eintreten, beispielsweise nach einer Amokfahrt oder einem Flugzeugabsturz. Da präsentieren sich sogar Verwandte dritten oder vierten Grades als Opfer, die durch den Tod des ihnen angeblich so nahe stehenden Menschen völlig den Halt verloren haben wollen, außerdem das Studium abbrechen mussten und noch drei Jahre später arbeitsunfähig sind wegen des Gedankens an längst vergessene tragische Vorfälle. Um darüber hinwegzukommen, bedarf es schon eines Schmerzensgeldes in amerikanisch-astronomischer Höhe. Ansonsten ist die Empörung sehr groß, die Entrüstung immens, gern auch die Enttäuschung ungeheuerlich.

Kurzum: Stellt man sich den Strafprozess als Gemüsegarten vor, dann sind Opferanwälte die Gurken darin.«