Eine Frage der Ehre

Was darf der Anwalt eigentlich im „Verteidigerplädoyer“?

Wollen Sie etwa behaupten, dass der Zeuge lügt?“ – So wirst Du, geneigter Leser, von manchen Richtern angebrüllt, wenn gerade ein Polizeizeuge ausgesagt hat und Du als Angeklagter dies mit einem „Stimmt so nicht.“ kommentierst. Wohlgemerkt: Du sitzt in dieser Situation auf einer Anklagebank und verteidigst Dich gegen Vorwürfe, die Dich Deine Freiheit, Deinen Job, Dein Hab und Gut kosten können. Man sollte meinen, dass man dann auch um sein Recht kämpfen darf. Aber nicht jedes Gericht mag es, wenn man die Glaubwürdigkeit seines Hauptbelastungszeugen anzweifelt.

Natürlich hat auch die Filmindustrie diesen Konflikt längst erkannt und bereits 1992 legendär inszeniert, mit einem (damals noch nicht abgedrehten) Tom Cruise als Verteidiger und einem die Arroganz und Blasiertheit des Militärs herausragend spielenden Jack Nicholson als Widerpart. Ganz großes Kino!

Nun ist der amerikanische Strafprozess etwas seltsam, weil dort beispielsweise Angeklagte auch Zeugen sind, was für mich unvorstellbar ist. Noch seltsamer scheint mir der dortige Militärstrafprozess, weil er es offenbar nicht zulässt, höherrangigen Offizieren Fragen zu stellen, die sie besser nicht beantworten sollten. Die Macht schützt eben überall zuerst sich selbst.

Aber wenn wir das Hollywood-Gedöns mal außen vor lassen, spiegelt diese Filmszene treffend wider, worum es auch in den Niederungen deutscher Strafprozesse geht: Es gibt Zeugen, denen wird bereits geglaubt, bevor sie überhaupt eine Aussage gemacht haben. Unterschiedlich ist nur die Begründung der Justiz.
Der Polizist ist ein erfahrener Zeuge, der noch nie falsch ausgesagt hat“, lautet das Credo der einen, „Ich glaube ihm nicht, weil er Polizist ist, sondern weil er die Wahrheit gesagt hat“, versuchen andere sich den Anschein von Objektivität zu geben. Im Endeffekt meinen beide dasselbe: Zweifle bloß nicht meinen Zeugen an!!!

Wer clever ist und sich nicht alleine auf die Anklagebank setzt, der bringt einen Verteidiger mit, dem er es überlässt, die Glaubwürdigkeit der Zeugen kritisch zu würdigen. Das macht die Sache zumindest aus Sicht der Polizeizeugen nicht besser. Da sie meistens im Rudel vernommen werden, bleiben sie nach der Aussage darum gerne noch im Gerichtssaal, um durch ihre uniformierte Präsenz zu zeigen, dass Zweifel an ihren Aussagen nicht geduldet werden. Tut der Verteidiger es dennoch, dann muss er durchaus auch mal mit einer Anklage rechnen. In Frankfurt ist dies kürzlich einem Anwalt widerfahren, nur weil er es gewagt hat, den Wahrheitsgehalt von Polizeiaussagen anzuzweifeln.

Wie das Anwaltsleben so spielt, braucht man am Ende ein Quäntchen Glück, welches dem angeklagten Kollegen auch zuteil wurde, und zwar durch ein Gericht, das sich zunächst einmal auf Martin Luther stützte und dessen Konzilskritik abwandelte zu „Gerichte können bei ihrer Beweiswürdigung irren und haben geirrt.“ Danach erinnerte es sich eigener Erfahrungen mit Polizeibeamten, die gelogen hatten „mitunter, dass sich die Balken bogen“ und in einer Dreistheit, dass „das Wort ´Verschwörung´ keine Übertreibung war“.
Dem angeklagten Verteidiger half das Gericht mit einem im Geschwurbel üblicher Beweiswürdigungsfloskeln oft schmerzlich vermissten Instrument aus der Klemme: Logik! Denn wenn der Angeklagte A sagt, der Zeuge aber B, dann ist zwar völlig klar, dass einer lügt, doch kann es dem Verteidiger deshalb verwehrt sein, der Einlassung des eigenen Mandanten zu folgen? Wie sollte er denn das A verteidigen, ohne damit zugleich das B als Falschaussage zu werten?
Die Anklage in Frankfurt wurde noch nicht einmal zugelassen, was zwar nicht so schön klingt wie „Freispruch“, tatsächlich aber ein noch glanzvollerer Sieg ist. Sollte Dich also je ein Richter fragen: „Wollen Sie etwa behaupten, dass der Zeuge lügt?“, dann bleibe höflich, lächele ihn an und frage zurück: „Wollen Sie etwa behaupten, dass ich lüge?

Opferanwalt

Was ist eigentlich ein „Opferanwalt“?

Immer wieder hört man Vorwürfe, der Strafprozess diene zu viel der Resozialisierung des Täters und zu wenig den Interessen des Opfers. Eine absurde Verdrehung der Tatsachen, denn es sind die Täter, die auf der Anklagebank sitzen und nicht selten deftige Strafen erhalten.

Natürlich gibt es bei manchen Straftaten auch Opfer, deren Interessen gewahrt werden müssen. Dies kann aber nicht zuvörderst Aufgabe eines Strafverfahrens sein. Gleichwohl macht es bisweilen Sinn, wenn auch Opfer an Prozessen teilnehmen und sich dabei anwaltlichen Beistandes bedienen. Gute Opfervertretung hat durchaus Möglichkeiten, einen Strafprozess entscheidend zu beeinflussen. Dazu benötigt der Anwalt aber zunächst einmal ein Handwerkszeug, das ihn den übrigen Prozessbeteiligten ebenbürtig macht, sprich: Erfahrungen als Strafverteidiger.

Ich habe es mir zur Gewohnheit gemacht, den Ernst zu nehmenden Opfervertreter schon sprachlich abzugrenzen vom selbst ernannten Opferanwalt, der sich eher auf das Händchenhalten oder das Taschentuchreichen versteht. Für Letzteres gibt es mittlerweile ohnehin die psychosozialen Prozessbegleiter. Dazu bedarf es keiner anwaltlichen Qualifikation.

In meinem Roman »Rheingold! Reines Gold« habe ich den Opferanwalt einmal so geschildert, wie er nicht sein sollte:

»Der Opferanwalt ist eine eher moderne Erscheinung im Strafprozess und eine seltsame Figur obendrein, weil es ihn eigentlich gar nicht gibt. Das Gesetz kennt keinen Opferanwalt.
Allerdings können Verletzte sich einem Strafverfahren als Nebenkläger anschließen und dabei auch anwaltlichen Beistand hinzuziehen. Man spricht dann vom Nebenklagevertreter. Ferner gibt es Zeugen, die bei ihrer Aussage lieber auf fachkundigen Rechtsrat bestehen. In diesen Fällen kommt der Zeugenbeistand zum Einsatz.
Kollegen, welche derartige Jobs übernehmen, titulieren sich selbst gerne als Opferanwalt. Der Unterschied zwischen einem Nebenklagevertreter oder einem Zeugenbeistand und dem Opferanwalt ist der Gesichtsausdruck während der Verhandlung. Opferanwälte schauen stets so, als seien sie persönlich das Opfer.
Beim Betreten des Gerichtssaales reichen sie der Mandantschaft meist den Arm, um ihre Rückendeckung körperlich sichtbar zu demonstrieren. Im Prozess reden sie ständig von Schmerzen und Leiden und psychischen Folgen, anstatt vernünftige Fragen oder Anträge zu stellen.
Eine bisweilen sehr eingeschränkte Qualifikation ersetzt der Opferanwalt regelmäßig durch überbordendes soziales Engagement. Sobald das Opfer bei der Zeugenaussage ein paar Tränchen verdrückt, ist er es, der das Taschentuch reicht.

Deshalb wird die Rolle des Opferanwaltes häufig von Frauen übernommen. Männer, die als Nebenklagevertreter auftreten und sich dennoch als Opferanwalt bezeichnen, sind meist nur gewissenlose Heuchler, die auf das Schmerzensgeld geiern, welches sie sich vom Opfer zu einem hohen Prozentsatz haben abtreten lassen. Sie warten nur darauf, das Opfer finanziell melken zu können. Im Gegensatz zu ihren Kolleginnen haben sie realisiert, dass sich die Opfervertretung nur rentiert, wenn der Täter hinterher zur Kasse gebeten werden kann.
So etwas lohnt sich vor allem, sobald Versicherungen eintreten, beispielsweise nach einer Amokfahrt oder einem Flugzeugabsturz. Da präsentieren sich sogar Verwandte dritten oder vierten Grades als Opfer, die durch den Tod des ihnen angeblich so nahe stehenden Menschen völlig den Halt verloren haben wollen, außerdem das Studium abbrechen mussten und noch drei Jahre später arbeitsunfähig sind wegen des Gedankens an längst vergessene tragische Vorfälle. Um darüber hinwegzukommen, bedarf es schon eines Schmerzensgeldes in amerikanisch-astronomischer Höhe. Ansonsten ist die Empörung sehr groß, die Entrüstung immens, gern auch die Enttäuschung ungeheuerlich.

Kurzum: Stellt man sich den Strafprozess als Gemüsegarten vor, dann sind Opferanwälte die Gurken darin.«