Die Füße im Feuer

Was ist eigentlich eine „Teileinlassung“?

Ein Teil von Etwas ist immer weniger als das Ganze. Was aber grundsätzlich unvollkommen klingt, kann manchmal durchaus sinnvoll sein. Wer möchte schon eine komplette Schwarzwälder Kirschtorte essen müssen?
Bei Geschichten ist das ähnlich. Manche stellen erst zufrieden, wenn man sie in Gänze kennt. Andere regen gerade durch ihre Lückenhaftigkeit zum Nachdenken an, reizen zum Tüfteln an selbsterdachten Lösungen.
Wie komme ich nun vom Geschichtenerzählen zum Strafprozess? Ach ja: Jede strafrechtliche Hauptverhandlung beginnt mit einer Geschichte, einer teils frei erfundenen, manchmal auch die Wahrheit streifenden Erzählung. Juristen nennen dies die Anklage. Dagegen können der Angeklagte oder der Verteidiger eine andere Geschichte präsentieren. Oder es lassen. Oder einen Mittelweg wählen, also dem Gericht etwas mitteilen, das zum Nachdenken über die Anklage anregt.
Bist du, geneigter Leser, nach einem nicht nur verbalen Disput einer Körperverletzung angeklagt, könntest du ja einfach mal berichten, dass nicht nur das angebliche Opfer ein Veilchen davontrug, sondern dir auch ein Zahn ausgeschlagen wurde. Das nennt man eine Teileinlassung, also eine Geschichte, die nur einzelne Punkte des Geschehens beleuchtet. Verständige Richter werden aus solch rudimentären Schilderungen interessante Schlüsse ziehen und bei der weiteren Beweisaufnahme erhellende Momente erleben. Weil ihr Ehrgeiz, ihr detektivisches Gespür geweckt wurde.
Leider sind die Richter ganz oben, beim höchsten Strafgericht, weit davon entfernt, sich mit einem einzelnen Kuchenstück zufrieden zu geben. Sie wollen die ganze Torte! Das hat sie träge gemacht. Darum haben sie die prozesstaktisch eigentlich sehr nützliche Teileinlassung zu einem gefährlichen Harakiri-Schwert umfunktioniert. Für die roten Roben bedeutet Teileinlassung nämlich immer auch Teilschweigen. Und wer etwas verschweigt, hat nach landläufiger Meinung etwas zu verbergen.
Dem Angeklagten wurde dadurch ein hocheffektives Verteidigungsmittel leider genommen. Ihm geht es nun wie des Hugenotten Weib in C.F. Meyers berühmter Ballade: Gestehen oder Schweigen sind seine einzigen Möglichkeiten. Denn da die Justiz an der Front immerzu nach oben schaut, von wo ihr erklärt wird, was sie zu tun hat, wurde der Spürsinn im strafprozessualen Tagesgeschäft höchstrichterlich abgewürgt.
Heutzutage gilt: Wer nicht Alles sagt, der lügt. Oder in Kirschtorten gedacht: Wer ein Stück für sich behält, der … Ja, was eigentlich?
Wir lernen: Ein Stück Schwarzwälder Kirsch regt Gerichte mehr zum Nachdenken an als die Teileinlassung eines Angeklagten.

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