Schwarzfahrer

Was ist eigentlich ein »Schwarzfahrer«?

Ich!
So einfach lautet die Antwort auf die heutige Frage.
Denn ich kam von einem auswärtigen Gerichtstermin per Zug, genauer gesagt mit dem IC bis Köln und dann mit der Mittelrheinbahn bis Bingen am Rhein. Mein Ticket hatte ich am Startbahnhof gekauft, mit Karte – also nachweisbar – bezahlt und dann eine knapp dreistündige Zugfahrt mit Maske genossen. Zum Glück hatte ich ein gutes Buch dabei.
Als etwa eine halbe Stunde vor Köln der Schaffner nahte, legte ich mein Ticket auf dem Tisch bereit, vertiefte mich wieder in mein Buch, aus dem ich erst wieder auftauchte, als der Zug plötzlich anhielt. Vor dem Fenster sah ich den Dom, aus dem Lautsprecher ertönte etwas von »Anschlusszüge«. Ich sah auf die Uhr und folgerte blitzschnell, dass mir ca. 2 Minuten blieben, um vom Bahngleis hinab und an anderer Stelle wieder hinauf zur Mittelrheinbahn zu eilen. Jetzt aber hurtig!
Mit einem Koffer und einer Aktentasche hechtete ich los, raus aus dem IC, eine Treppe hinab und … verdammt … das Ticket. Wieso hatte der Schaffner mich eigentlich nicht kontrolliert?
Kurzes Abwägen: Ohne Ticket wird´s schwierig. Also Treppe wieder hoch, doch der IC rollte soeben aus dem Bahnhof. Was nun? Schalter? Automat? Nicht wenn die verbliebene Zeit im Sekundenbereich liegt. Also nochmal Treppe runter, Gang entlang, Treppe hoch und ab in die Mittelrheinbahn. Gerade noch so erreicht.

Du hast, geneigter Leser, jetzt wahrscheinlich Szenen vor Augen von Menschen, die im Zug ihr Ticket lösen. Aber das war vor langen Zeiten einmal so. Heutzutage wird so etwas über AGB geregelt und die lauten: Ohne Ticket ist das Mitfahren verboten.
Bis Bonn saß ich auf glühenden Kohlen, etwa bei Boppard sah ich sie nahen und kurz später musste ich öffentlich den entwürdigenden Satz sagen: »Ich habe kein Ticket.«
Als sei das nicht schon Strafe genug, gab´s umgehend 60 EUR obendrauf und den gut gemeinten Hinweis, meine Story dem Kundenservice zu schildern. »Das klingt ja jetzt wirklich nachvollziehbar«, meinte die Schaffnerin noch. Aber ich sah ihr bereits an, dass ich mit Kulanz nicht zu rechnen hatte.
Eine lange erklärende E-Mail meinerseits und einige Tage später dann die Antwort vom »Team Kundencenter« der Trans Regio Regionalbahn:

»Ihren Widerspruch gegen das erhöhte Beförderungsentgelt haben wir geprüft. Aufgrund der nicht vorhandenen persönlichen Fahrkarte, können wir Ihren Widerspruch nicht anerkennen.«

Ja wie schwachsinnig ist das denn??? Mit einer vorhandenen Fahrkarte wäre das Problem doch gar nicht entstanden!

Einmal noch habe ich geantwortet, darauf hingewiesen, dass ich zwei Wochen vorher statt wie zugesagt um kurz vor Mitternacht erst morgens um 6 Uhr meinen Zielbahnhof erreicht und die halbe Nacht auf einem Bahnhof verbracht hatte. Wegen Verspätungen der Bahn. Aber ich war wohl einer Antwort nicht mehr würdig. »Team Kundencenter« hatte mich bereits abgehakt.

Manchmal denke ich darüber nach, was ich anders machen würde, wenn ich nochmal in solch eine Situation geriete. Aber ich sehe nur einen Ausweg: Es wieder zu tun. Weil es keine andere Möglichkeit gibt, außer vielleicht ordnungsgemäß ein Ticket zu lösen und einen späteren Zug zu nehmen (der dann sechs Stunden später ankommt?). Dann lieber eine Schwarzfahrt für 60,- EUR. Wartezeit ist schließlich auch Geld.

Damit komme ich zu der Diskussion darüber, ob das Wort vielleicht diskriminierend sein könnte. Wie häufiger bei Auseinandersetzungen um »gerechte Sprache« fehlt mir mal wieder jedes Verständnis für das Problem. Woher das Schwarze im Schwarzfahrer kommt, ist meines Wissens noch ungeklärt. Vieles spricht jedoch dafür, dass es vom jiddischen Wort «shvarts» (Armut) kommt. Im Namen eines Toleranzhypes löschen wir also gerade wieder einmal Reste jüdischen Lebens in Deutschland aus.

Mag sein, dass ich in den Augen von »Team Kundencenter« deshalb doch kein Schwarzfahrer bin. Doch ich trage das Etikett durchaus mit etwas Stolz. Aus dem Gefühl heraus, alles richtig gemacht zu haben und doch abgestempelt worden zu sein, vielleicht sogar eine Straftat begangen zu haben, nur weil es nicht mehr möglich ist, im Zug zu zahlen. Es mahnt mich, wie schnell man an einer technisierten Welt scheitern kann.

Warum ich nicht gendere

Was ist eigentlich „gerechte Sprache“?

Cäsar hat Gallien erobert – lernten und lernen Kinder in der Schule. Aber war es tatsächlich so? Oder erledigten nicht etliche Legionen an Soldaten für ihn die Drecksarbeit? Bis auf wenige (Titus Pullo & Lucius Vorenus) sind sie alle vergessen. Einzig Cäsar kennt jedes Kind, nur Einer von Hunderttausenden blieb unvergessen. Schuld daran ist – die Sprache. Weil sie ganze Legionen einfach unterschlägt. Denn wer Cäsar sagt, meint alle anderen mit. Was zweifelsohne ungerecht ist gegenüber all den Namenlosen von damals. Doch wie sollte man vom Gallischen Krieg so berichten, dass es allen gerecht wird? Etwa: Cäsar und Titus Pullo und Lucius Vorenus und und und … haben Gallien erobert. Das wäre eine gegenüber jederman gerechte, aber keine sprechbare Sprache.

Denn Worte sind ohnehin nur Formeln für Sachverhalte. Der Baum könnte ebenso gut Haus oder Tisch heißen. Nur wurde er irgendwann eben als Baum benannt. Seither verbinden wir mit diesem Wort die ganze Bandbreite vom nachweihnachtlichen Fichtengerippe, das am Straßenrand seiner Entsorgung harrt bis zum gigantischen Mammutbaum, den selbst ein Dutzend Leute nicht gemeinsam umarmen können. Das Wort Baum weckt in uns binnen Sekunden wohl mehr Vorstellungen, als wir im Laufe eines Tages konkret in Worte fassen könnten. Gerade deshalb genügt dieses eine Wort.

Du wirst, geneigter Leser, nun erkennen, dass jeder Mensch sich unter einem Baum etwas völlig anderes vorstellt. Dennoch braucht es weder Binnen-I noch Gender-Sternchen, vor allem nicht hunderte Begriffe für die hundertfachen Erscheinungsformen der Bäume. Denn die Sprache lässt uns die Freiheit, dass jeder sich einen Baum so denken kann, wie er möchte.

Und nun schauen wir uns Artikel 62 des Grundgesetzes an: „Die Bundesregierung besteht aus dem Bundeskanzler und aus den Bundesministern“, lesen wir dort und sogleich werden viele aufschreien: Es muss doch, wenn wir eine gerechte Sprache wollen, „BundeskanzlerIn“ heißen! Muss es das?

Die sogenannten „Väter des Grundgesetzes“ (es waren übrigens auch Mütter dabei) konnten sich wahrscheinlich als Bundeskanzler nur einen Mann vorstellen. Aber war dies die einzige Vorstellung, der sie verhaftet waren? Konnten sie sich den Bundeskanzler als 18jährigen Hippie vorstellen? Als bekennenden Muslim mit Vollbart und Gebetsmütze? Als Schwarzen? Wohl kaum! Ihr Bild vom Bundeskanzler war das vom alten, weißen, christlich geprägten Mann. Es dürfte Angela Merkels Verdienst sein, dass wir heutzutage einen Bundeskanzler wie selbstverständlich auch als Frau denken können – ohne Art. 62 GG je geändert zu haben. Frau Merkel ist als Bundeskanzler auch ohne Binnen-I längst in unseren Köpfen.
Aber: Eine jugendliche Bob-Marley-Kopie entspräche nach wie vor nicht dem mehrheitlichen Bild von einem Bundeskanzler, selbst wenn wir Art. 62 GG in „BundeskanzlerIn“ änderten. Um Chancengleichheit durch gerechte Sprache zu schaffen, müsste folglich das Wort Bundeskanzler so verändert werden, dass es den 18jährigen Hippie, den bekennenden Muslim mit Vollbart und Gebetsmütze, den Schwarzen und viele andere mehr wie selbstverständlich mit symbolisiert. Doch welches Wort könnte diese Möglichkeiten allumfassen? Oder gibt es dieses Wort vielleicht schon, weil „der Bundeskanzler“ jede mögliche Besetzung dieser Position bereits enthält? Wenn jeder sich den Baum denken kann, wie er will, hat auch der Bundeskanzler als nacktes Wort das Potential, in jeder möglichen Besetzung gedacht zu werden. Es muss nur einer kommen, der es vorlebt.

Die »BundeskanzlerIn« als angeblich gerechtere Sprache erfasst die Frauen. Mehr nicht. Alle anderen Facetten des Wortes blendet sie aus und entlarvt sich damit selbst als diskriminierend. Worauf es ankommt ist nämlich nicht die äußere Form, sondern der Inhalt. Eine Eiche ist ein Baum, eine Linde ist es auch; Adenauer war Bundeskanzler, Merkel ist es nicht minder. Worte lassen sich mit Inhalt füllen, aber diese Eigenschaft geht ihnen verloren, wenn man ihre Form verändert. Das Binnen-I schränkt die Bedeutung ein, es hat folglich nichts Gerechtes, sondern ist limitierend und ausgrenzend.

Ich lehne es daher ab, mich irgendeiner Gendersprache zu bedienen, deren Beitrag zur Gerechtigkeit sich mir nicht erschließt. Sinnvoller scheint mir, Sprache dort zu verändern, wo sie Taten oder Untaten hinter dem Namen einzelner Personen versteckt. Und damit wären wir wieder bei Cäsar und seinen Legionen der Niegenannten, der rhetorisch einfach Ausgeblendeten. Ihretwegen bedarf es weder Gender-Sternchen noch Binnen-I in unserer Sprache, es braucht Gerechtigkeit für Titus Pullo.