Anwalt Allwissend

Ist meine E-Mail schon angekommen? – Welche Mail? – Die ich gerade geschickt habe. – Tut mir leid, aber ich lese meine Mails nur um 11, um 14 und um 17 Uhr.
Oder: Ich habe ein Schreiben vom Gericht erhalten, was bedeutet das? – Haben Sie mir das Schreiben schon weitergeleitet? – Nein, es kam ja gerade erst an.
Oder: Ich brauche dringend einen Termin. – Wer sind Sie denn? – Ich bin doch Ihr Mandant. – Haben Sie auch einen Namen?
Falls du, geneigter Leser, nun vermutest, einige Anrufer seien am (bisher) heißesten Tag des Jahres etwas überdreht, muss ich dir leider sagen: Das ist Alltag! Und es gibt solche skurrilen Situationen nicht nur am Telefon, sondern beispielsweise auch

– in der Eisdiele: Hey Anwalt, wann ist eigentlich mein Gerichtstermin? – Habe ich nicht auswendig im Kopf. – beim Feierabendwein: Ich weiß, Sie sind jetzt privat, aber wissen Sie zufällig, ob die Frist schon abgelaufen ist, die Sie dem Gegner gesetzt haben?

Die Exempel ließen sich fortsetzen, sie beruhen alle auf einer Ursache: Mandanten denken bisweilen, ihr Anwalt sei Tag und Nacht nur mit ihrer Akte beschäftigt. Was mitnichten der Fall ist. Beim Blick in mein Anwaltsprogramm sehe ich für heute 18 Wiedervorlagen und 2 Fristen, also 20 Akten, die bearbeitet sein wollen. Nicht nur an einem heißen Sommertag, sondern nahezu an jedem Tag. Zu viel, um ständig alle Details im Kopf zu haben.
Moderne Kommunikationstechniken erleichtern die Arbeit zwar ungemein, aber man sollte sie mit Verstand einsetzen. Wer in Häppchen denkt und daher eine Mitteilung in drei E-Mails aufteilt, erschwert das Leben unnötig. Respektvoller Umgang miteinander sieht anders aus. Und damit komme ich zum nervtötendsten aller Instrumente: das Handy!
Wer wie ich 30 Jahre am Markt ist, kann es nicht vermeiden, bisweilen auch seine Mobilfunknummer herauszugeben. Nicht jeder behandelt diese vertraulich, sie wird weitergegeben und wieder weitergegeben. Was mich vor Probleme stellt. Denn ich summe nicht permanent »kein Schwein ruft mich an«, sondern gehe meistens irgendwelchen Tätigkeiten nach, die mal mehr, mal weniger meine Konzentration fordern. Handyanrufe, zumal mit unbekannter Nummer, werden daher stets mit einer Standard-SMS beantwortet: Rufen Sie meine Kanzlei an unter 06707/9156668.
Natürlich ist es Geschmackssache, wie man mit der ständigen Erreichbarkeit und der Schnelligkeit moderner Kommunikation umgeht. Ich kenne Kollegen, die üben ihren Beruf fast nur per Telefon aus und werden gelobt für Effektivität und prompte Reaktionen. Die antworten auf die Frage »Wann ist eigentlich mein Gerichtstermin?« mit »Ich rufe gleich an und sage Bescheid.« Jeder wie er mag.
Problematisch wird es allerdings dann, wenn die Dauertelefonierer mich spontan auf dem Handy anrufen, denn Kollegen, weist man nicht ab. Ich unterbreche dann also eine Besprechung, bitte den Mandanten, der korrekt einen Termin ausgemacht hat, um Geduld und höre mir an: »Ich habe dir eine Mail geschickt, ruf mich doch mal zurück, wenn du die gelesen hast.« Das geht dann schon in Richtung einer Kategorie »Problemkollege«, aber davon ein andermal.