Warum ich nicht gendere

Was ist eigentlich „gerechte Sprache“?

Cäsar hat Gallien erobert – lernten und lernen Kinder in der Schule. Aber war es tatsächlich so? Oder erledigten nicht etliche Legionen an Soldaten für ihn die Drecksarbeit? Bis auf wenige (Titus Pullo & Lucius Vorenus) sind sie alle vergessen. Einzig Cäsar kennt jedes Kind, nur Einer von Hunderttausenden blieb unvergessen. Schuld daran ist – die Sprache. Weil sie ganze Legionen einfach unterschlägt. Denn wer Cäsar sagt, meint alle anderen mit. Was zweifelsohne ungerecht ist gegenüber all den Namenlosen von damals. Doch wie sollte man vom Gallischen Krieg so berichten, dass es allen gerecht wird? Etwa: Cäsar und Titus Pullo und Lucius Vorenus und und und … haben Gallien erobert. Das wäre eine gegenüber jederman gerechte, aber keine sprechbare Sprache.

Denn Worte sind ohnehin nur Formeln für Sachverhalte. Der Baum könnte ebenso gut Haus oder Tisch heißen. Nur wurde er irgendwann eben als Baum benannt. Seither verbinden wir mit diesem Wort die ganze Bandbreite vom nachweihnachtlichen Fichtengerippe, das am Straßenrand seiner Entsorgung harrt bis zum gigantischen Mammutbaum, den selbst ein Dutzend Leute nicht gemeinsam umarmen können. Das Wort Baum weckt in uns binnen Sekunden wohl mehr Vorstellungen, als wir im Laufe eines Tages konkret in Worte fassen könnten. Gerade deshalb genügt dieses eine Wort.

Du wirst, geneigter Leser, nun erkennen, dass jeder Mensch sich unter einem Baum etwas völlig anderes vorstellt. Dennoch braucht es weder Binnen-I noch Gender-Sternchen, vor allem nicht hunderte Begriffe für die hundertfachen Erscheinungsformen der Bäume. Denn die Sprache lässt uns die Freiheit, dass jeder sich einen Baum so denken kann, wie er möchte.

Und nun schauen wir uns Artikel 62 des Grundgesetzes an: „Die Bundesregierung besteht aus dem Bundeskanzler und aus den Bundesministern“, lesen wir dort und sogleich werden viele aufschreien: Es muss doch, wenn wir eine gerechte Sprache wollen, „BundeskanzlerIn“ heißen! Muss es das?

Die sogenannten „Väter des Grundgesetzes“ (es waren übrigens auch Mütter dabei) konnten sich wahrscheinlich als Bundeskanzler nur einen Mann vorstellen. Aber war dies die einzige Vorstellung, der sie verhaftet waren? Konnten sie sich den Bundeskanzler als 18jährigen Hippie vorstellen? Als bekennenden Muslim mit Vollbart und Gebetsmütze? Als Schwarzen? Wohl kaum! Ihr Bild vom Bundeskanzler war das vom alten, weißen, christlich geprägten Mann. Es dürfte Angela Merkels Verdienst sein, dass wir heutzutage einen Bundeskanzler wie selbstverständlich auch als Frau denken können – ohne Art. 62 GG je geändert zu haben. Frau Merkel ist als Bundeskanzler auch ohne Binnen-I längst in unseren Köpfen.
Aber: Eine jugendliche Bob-Marley-Kopie entspräche nach wie vor nicht dem mehrheitlichen Bild von einem Bundeskanzler, selbst wenn wir Art. 62 GG in „BundeskanzlerIn“ änderten. Um Chancengleichheit durch gerechte Sprache zu schaffen, müsste folglich das Wort Bundeskanzler so verändert werden, dass es den 18jährigen Hippie, den bekennenden Muslim mit Vollbart und Gebetsmütze, den Schwarzen und viele andere mehr wie selbstverständlich mit symbolisiert. Doch welches Wort könnte diese Möglichkeiten allumfassen? Oder gibt es dieses Wort vielleicht schon, weil „der Bundeskanzler“ jede mögliche Besetzung dieser Position bereits enthält? Wenn jeder sich den Baum denken kann, wie er will, hat auch der Bundeskanzler als nacktes Wort das Potential, in jeder möglichen Besetzung gedacht zu werden. Es muss nur einer kommen, der es vorlebt.

Die »BundeskanzlerIn« als angeblich gerechtere Sprache erfasst die Frauen. Mehr nicht. Alle anderen Facetten des Wortes blendet sie aus und entlarvt sich damit selbst als diskriminierend. Worauf es ankommt ist nämlich nicht die äußere Form, sondern der Inhalt. Eine Eiche ist ein Baum, eine Linde ist es auch; Adenauer war Bundeskanzler, Merkel ist es nicht minder. Worte lassen sich mit Inhalt füllen, aber diese Eigenschaft geht ihnen verloren, wenn man ihre Form verändert. Das Binnen-I schränkt die Bedeutung ein, es hat folglich nichts Gerechtes, sondern ist limitierend und ausgrenzend.

Ich lehne es daher ab, mich irgendeiner Gendersprache zu bedienen, deren Beitrag zur Gerechtigkeit sich mir nicht erschließt. Sinnvoller scheint mir, Sprache dort zu verändern, wo sie Taten oder Untaten hinter dem Namen einzelner Personen versteckt. Und damit wären wir wieder bei Cäsar und seinen Legionen der Niegenannten, der rhetorisch einfach Ausgeblendeten. Ihretwegen bedarf es weder Gender-Sternchen noch Binnen-I in unserer Sprache, es braucht Gerechtigkeit für Titus Pullo.

In memoriam FJS

Wie weit geht eigentlich die „Meinungsfreiheit“?

Eine der Merkwürdigkeiten unseres Strafrechtssystems ist, dass es dem Mörder nur 2 Instanzen gewährt, dem Ladendieb immerhin 3 und dem Pöbler sogar 4. Denn wer vom Amtsrichter wegen Beleidigung verurteilt wird, kann nach dem Land- und Oberlandes- noch das Bundesverfassungsgericht anrufen. Und dies sogar mit guten Erfolgsaussichten. Die Grenze zwischen einer strafbaren Beleidigung und einer zulässigen Meinungsäußerung ist schwammig. Du wirst, geneigter Leser, dich wahrscheinlich einfach nur wundern, wenn man dich freispricht, obwohl du Polizisten „dumm, unfähig, schikanös, machtversessen und niveaulos“ nanntest, aber oft nutzt man solche Formulierungen ja nur, weil man einem anderen mal so richtig die Meinung geigen will. Und wenn die Meinung betroffen ist, egal ob gegeigt oder gesungen, wackeln womöglich die Fundamente unserer Verfassung. Darum wird ein solches Urteil „ganz oben“ nochmal überprüft.
(Meine Auswertung der verfassungsgerichtlichen Judikatur hat ergeben, dass nur eine Gruppe wirklich sicher ist vor Pöbeleien: die Richter).

Früher, als angeblich alles noch besser, der Himmel weiß-blauer und die Politiker originaler waren, nannte einer von denen mal einen anderen:

„eine armenische Mischung aus marokkanischem Teppichhändler, türkischem Rosinenhändler, griechischem Schiffsmakler und jüdischem Geldverleiher und ein Sachse.“

Dieses Zitat hätte heutzutage hinreichend Potential, von der öffentlichen Empörung bis zum Staatsanwalt jeden auf den Plan zu rufen, der oder die gerade nichts zu tun hat, schon immer mal was sagen wollte und am liebsten alles verbieten möchte. Es würde mindestens als Ehrverletzung, wahrscheinlich sogar als Volksverhetzung gedeutet, locker ein Sommerloch füllen und schneller zum Rücktritt des Zitatverfassers führen, als ein Andreas Scheuer überhaupt Maut sagen kann.

Denn es gilt als Fortschritt, alle Klischees über andere Nationen, Religionen, Regionen, Professionen usw. zu unterdrücken. Je bildhafter, blumiger, bunter die Sprache, desto größer die Gefahr, dass sich irgendwer angeblich beleidigt fühlt. Vorausgesetzt, eine bestimmte Wortwahl wurde bereits von anderen als rassistisch oder sexistisch definiert. Selbst hätte der angeblich Beleidigte es oft gar nicht bemerkt.

Der jüdische Geldverleiher dürfte zwar damals bereits grenzwertig gewesen sein, dem türkischen Rosinenhändler wird man aber erst heute und nur zwecks Bauchbepinselung seines despotischen Staatspräsidenten eine Ehrverletzung zugestehen. Der marokkanische Teppichhändler wartet nach meiner Einschätzung gerade auf seine Entdeckung durch unsere Oberkorrektoren. Er könnte kurzfristig zum Unwort werden – oder auch nicht. Korrekte Sprache ist Glückssache. Der griechische Schiffsmakler schließlich kann sich grün und blau über diese Titulierung ärgern, hat aber kaum Chancen auf dem Index zu landen. So ungerecht ist die Welt.

Wer darüber entscheidet, was man bedenkenlos sagen darf und was nicht, wabert im Dunkeln. Eine offizielle Zensurstelle gibt es nicht. Mir scheint, die Aufseher über unsere Sprache sitzen noch nicht einmal in Regierungskreisen. Sie haben es lediglich geschafft, sich durch dauerndes öffentliches Empörtsein zur pseudomoralischen Instanz aufzuschwingen. Irgendeine Autorität ist damit nicht verbunden, die braucht es aber auch nicht, denn es zählt allein der einschaltquotenrelevante Heulsusenfaktor.

Wegen des obigen Zitats würden sie aktuell wahrscheinlich medienwirksam in Ohnmacht fallen. Doch als es seinerzeit ausgesprochen wurde, blieb es folgenlos für den Verfasser Franz-Josef Strauß und den so gescholtenen Hans-Dietrich Genscher. Denn zu jener Zeit durfte man so etwas sagen, was aus der Vergangenheit wirklich einmal die gute alte Zeit macht. Hauptstadt war damals noch nicht das glas- und stahlstrotzende Berlin, sondern das verschnarchte zementklotzige Bonn. Zumindest mir aber wird wehmütig ums Herz wenn ich zurückdenke, wie frei wir damals reden durften.