Kinderschänder

Wie verteidigt man eigentlich einen „Kinderschänder“?

Der Mann schnappte sich die 4jährige Lisa und missbrauchte sie brachial. Mehrfach urinierte er auch auf sie. Das Kind überlebte mit schweren inneren Verletzungen. Er hatte ihre Eingeweide regelrecht zerfetzt.
Ich habe lange überlegt, ob ich die Überschrift zu diesem Beitrag mit „Wozu“ beginnen sollte, mich dann aber für das „Wie“ entschieden. Denn die grundsätzliche Überzeugung, dass dieser Mann verteidigt werden muss, steht für mich nicht zur Diskussion.
Irgendwann treffe ich ihn in einer Haftzelle, wo er stumm zu Boden starrt. Wahrscheinlich bin ich der Erste, der ihn zum Reden bringt, denn bisher hat er stur geschwiegen. Solche Täter wollen ihre Taten nicht wahrhaben. Ich kenne die Akte, die Spuren, die unzähligen Beweise, die Fotos. Dennoch lautet meine erste Frage: „Stimmt es, was man Ihnen vorwirft?“
Die Öffentlichkeit hat sein Urteil längst gefällt: Schwanz ab und dann möglichst elendig verrecken lassen. Aber ich gebe ihm wenigstens die Chance, alles abzustreiten, nur für eine Sekunde nochmal zu sein, was er nie wieder sein wird: unschuldig.
Es gibt Täter, die jetzt leugnen, dies auch nach intensivster Beratung weiter tun und bis zum letzten Tag der Haft behaupten werden, die Tat nicht begangen zu haben. Dann ist es die Aufgabe des Strafverteidigers, sie mit dieser Lebenslüge, die jetzt alles ist, was ihnen blieb, durch den Prozess zu führen. Ich würde am Ende zwar nicht auf Freispruch plädieren, aber es ist auch nicht mein Job, solche Mandanten täglich zum Geständnis zu ermahnen.
Die Verteidigung des leugnenden Angeklagten, von dem man weiß, dass er es war, soll aber heute nicht mein Thema sein.

Gesteht der Inhaftierte hingegen seine Tat, ist es lange nicht damit getan, nun „ein mildes Urteil“ zu beantragen, das er ohnehin nicht verdient hat. Das Monströse dieser Schandtat rührt an Urinstinkte, denen sich niemand entziehen kann. Die Gefahr, dass es „mit den Vorschriften nicht so genau genommen“ wird, ist in solchen Verfahren allgegenwärtig. Das beginnt schon mit einer kleinen Verspätung des Gerichts bei Prozessbeginn, damit die Presse ein paar Minuten länger draufhalten kann. Macht der Täter Angaben zu sich oder seiner Tat, wird er gerne unterbrochen, gar als zu weitschweifig kritisiert. Die erbetene Pinkelpause bekommt er „jetzt noch nicht“. Zu Anträgen, die er stellen möchte, „kommen wir später“.
Wenn Du, geneigter Leser, Dich einfach mal fragst, ob Du diesen Täter anders als „normale“ Verbrecher behandeln würdest, wirst Du verstehen, was ich meine: Auch Gerichte versagen bisweilen gegenüber ihrem eigenen Anspruch auf Neutralität. Darum braucht es eine klare Rollenverteilung. Einer muss strikt für die Rechte des Angeklagten eintreten. Weil es seine Aufgabe ist, nicht weil er die Tat verteidigt oder gar mit ihr sympathisiert.
Der Anwalt wird dann zum kleinlichen Buchhalter des Rechts, zum Verteidiger der Formalien. Die Strafprozessordnung ist keine andere, nur weil hier Abscheuliches verhandelt wird. Ihr muss als ein „ethisches Minimum“ (Jellinek) auch und besonders in solchen Verfahren Geltung verschafft werden.
Irgendwann kommt die Rede auf das Urinieren. Lisas Mutter bricht erneut in Tränen aus. „Warum das auch noch? Weshalb diese Demütigung“, schreit sie. Der Vorsitzende ist gereizt wegen der aufgeladenen Stimmung. Er will diesen Punkt schnell abhaken. Aber der Mandant möchte erklären, also bestehe ich auf seinem Rederecht. „Es war nicht gegen das Kind gerichtet“, sagt er dann. „Man macht das nur, damit es besser flutscht.“
Für die Mutter sicherlich kein Unterschied, für das Gericht schon. Im Urteil wird das Urinieren keine Rolle mehr spielen. Zumindest wird dieser Aspekt sich nicht strafschärfend auswirken.

Manchmal, wenn die Sitzungstage lang, aber mit häufigen Pausen durchzogen sind, verbringt man sehr viel Zeit alleine mit solch einem Täter. Dann führt man Smalltalk. Das Essen im Knast, die Bundesliga, das Wetter. Vielleicht gibt es auch etwas Lustiges zu berichten, vergisst man einen Augenblick lang, worum es hier geht und schon passiert es: Gemeinsam Lachen mit dem Monster.
Für Beobachter im Gerichtssaal unbegreiflich, für mich Erinnerung daran, dass es immer noch ein Mensch ist, neben dem ich dort auf der Anklagebank sitze. Denn nur darum geht es noch. Kein Mensch darf bloßes Objekt staatlichen Handelns werden, betont das Bundesverfassungsgericht immer wieder. Der Kinderschänder ohne Verteidiger würde genau dies.

Übrigens: Ob und wie die Persönlichkeit eines solchen Menschen gestört ist, entscheiden Gutachter. Ich werde in solchen Fällen, nur mit dem Satz konfrontiert, den die Stammtische in diesem Land als Standardausrede jedes Delinquenten verachten: „Ich hatte eine schwere Kindheit.“ Meistens höre ich das schon im ersten Termin mit ihm. Wir sprechen dann kurz darüber, damit ich verstehe, was er meint. Vater gewalttätig, Mutter Trinkerin, frühe Scheidung der Eltern, Kindheit auf der Straße, Jugend in der Gosse. Nichts Besonderes also, kein Grund für irgendeine Tat.
„Ich wog bei meiner Geburt bereits 5 Kilo, meine Kindheit war auch schwer“, sage ich dann. Anschließend reden wir nie wieder über das Thema.

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