Was ist eigentlich der „Treuebruchstatbestand“?

Insolvenz ist im Prinzip recht simpel: Alles, was ein Unternehmen besitzt, wird verwertet, also zu Geld gemacht und an die Gläubiger verteilt. Weil der Verwertungserlös regelmäßig nicht ausreicht, um alle Schulden zu bezahlen, erhalten die Gläubiger allerdings nur einen Anteil, die sogenannte Quote. Soweit die Theorie.

Praktisch läuft dies so: Ein Mandant hat 10 Mille zu bekommen, die meldet sein Anwalt beim Insolvenzverwalter an. Dann passiert jahrelang nichts und irgendwann überweist der Insolvenzverwalzer 11,57 EUR oder 56,43 EUR oder 3,11 EUR. Die Quote eben.

Richtig hohe Quoten sind selten, umso mehr verwunderte es mich, als vor einigen Monaten ein knapp sechsstelliger Betrag auf meinem Konto einging. Anhand des Aktenzeichens konnte ich erkennen, dass es um ein Verfahren aus dem Jahre 2006 ging: Zusammenbruch einer Privatbank. Eine Akte dazu hatte ich nicht mehr. Durch Rückfrage beim Insolvenzverwalter musste ich erst einmal herausfinden, wer damals mein Mandant gewesen war. Es handelte sich um einen Dr. Vlado Antonovic – erinnern konnte ich mich nicht mehr an ihn.

Bei Recherche im Internet entdeckte ich seine Todesanzeige aus dem Jahre 2011. In Liebe, deine Frau Irina.

Irina Antonovic verstarb 3 Jahre später. Auch von ihr spuckte das Netz eine Todesanzeige aus. Gezeichnet: Deine Familie. Damit verlor sich die Spur und ich hätte den Fall endgültig abhaken können. Wäre da nicht noch eine Stange Geld auf meinem Konto gewesen.

Du solltest, geneigter Leser, jetzt kurz in § 266 StGB schauen, dann wird dir klar, weshalb es keine gute Idee wäre, stillschweigend Gras über die Sache wachsen zu lassen.

Für aufwändige Recherchen (Standesamt, Nachlassgericht) hatte ich keine Lust, also setzte ich ein Schreiben auf an „Familie Antonovic“ und schickte es an die Traueradresse aus der Todesanzeige. Tatsächlich meldete sich wenige Tage später eine Julia Antonovic, Tochter und Alleinerbin des verstorbenen Mandanten. Sie vereinbarte einen Termin, wies sich aus durch Perso und gab mir ihre Bankverbindung. Dorthin überwies ich – nach Abzug meines Honorars – den knapp sechsstelligen Betrag und erntete Julia Antonovics dankbare Bewunderung.
„Wenn Sie sich nicht gemeldet hätten, wäre es nie aufgefallen“, lobte sie meine Seriosität. „Ich verstehe ehrlich gesagt nicht, warum Sie das gemacht haben. Es wäre doch so einfach gewesen für Sie, das Geld einfach zu behalten.“
„Mein Beruf bringt eben Pflichten mit sich“, antwortete ich nur. Dabei tröstete ich mit dem Gedanken, dass wir Anwälte eben die Guten sind, die Anständigen, die denen man trauen kann.

Einige Wochen später erhielt ich Post von einem Kollegen. Der bestellte sich für einen Anton Antonovic als Alleinerbe nach seinem Vater Dr. Antonovic.
„Mein Mandant wurde kürzlich von seiner Frau Julia verlassen. Beim Sichten der Unterlagen ist er auf ein Schreiben von Ihnen gestoßen, betreffend eine Insolvenzforderung des verstorbenen Dr. Antonovic. Es wird kollegialiter um Mitteilung gebeten, wie diesbezüglich der Sachstand ist.“

Manchmal denke ich darüber nach, ob Julia Antonovics Treuebruch auch ein strafbarer Treuebruch nach o.g. Vorschrift ist. Aber dazu bleibt mir wenig Zeit, denn ich habe gerade ganz andere Probleme …

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