dolus eventualis

Was ist eigentlich ein „dolus eventualis“?

Derzeit ist der dolus eventualis ziemlich berühmt, denn das Landgericht Berlin war der Meinung, wer bei einem illegalen Autorennen andere totfährt, nehme dies billigend in Kauf. Der BGH hat dieses Urteil bekanntlich aufgehoben, weshalb Viele jetzt denken, die Tötung sei nur eine fahrlässige, was der BGH so aber gerade nicht gesagt hat. Immerhin weiß jetzt auch der Laie: Der dolus eventualis – auf deutsch heißt er „bedingter Vorsatz“ – ist kein richtiger Vorsatz, bei dem jemand weiß und will, dass etwas passiert, sondern nur ein billigendes Inkaufnehmen. Deshalb wird viel über ihn geschrieben, um ihn abzugrenzen vom direkten Vorsatz einerseits und der Fahrlässigkeit andererseits.

Als Studenten haben wir versucht, den dolus eventualis mit einer Faustformel zu begreifen: Jemand hält es für möglich, dass etwas Bestimmtes passiert und es ist ihm egal, ob das passiert. Also nimmt er es billigend in Kauf. Würde er statt „egal“ eher denken „wird schon gutgehen“, wären wir nach Meinung der Juristen im Bereich der Fahrlässigkeit. Ein Ritt auf der Rasierklinge.

Schauen wir uns das einmal an einem gewöhnlichen Elfmeter im Fußball genauer an: Der Schütze weiß und will, dass der Ball ins Netz fliegt. Er erzielt seinen Treffer also vorsätzlich. Aber was ist mit dem Torwart, der dazwischen hechtet? Dass der da ist, weiß unser Schütze. Ganz sicher will er aber nicht, dass der Torwart den Ball fängt. Allerdings hält er das auch nicht für völlig unmöglich. Klingt nach bedingtem Vorsatz, doch jeder wird unterstellen, dass der Schütze hofft, es werde schon gutgehen. Er hat seinen Elfmeter also nicht bedingt vorsätzlich, sondern nur fahrlässig verschossen.

Dummerweise landet der Ball nun aber nicht in den Armen des Torwarts, sondern in dessen Gesicht und bricht ihm die Nase. Zunächst denken wir, das habe der Schütze ja noch weniger gewollt als einen Fehlschuss. Aber der Spieltag war ansonsten wenig ereignisreich, darum hat die Boulevardpresse den Torwart bereits gekauft. „Ich sah die Mordlust in den Augen meines Gegners, dann zielte er genau auf meine Nase“, wird der zitiert. Umgehend schaltet die Politik in den Wahlkampfmodus, rügt „die zunehmende Brutalität des Sports“ und kündigt drakonische Gesetze dagegen an. In dieser Situation soll der deutsche Stammtisch als Richter nun im Nachhinein entscheiden, was genau der Spieler sich vorstellte, bevor er den Ball trat.

Sofern der Torjäger vor dem Spiel ein Interview gegeben hat, wissen wir ziemlich genau, was er dachte. Gibt er das Interview erst hinterher, wird er natürlich abstreiten, so einen Nasenbeinbruch auch nur annähernd für möglich gehalten zu haben. Da kann dann jeder eine andere Meinung dazu haben und keine ist richtig falsch. Letztlich bleibt nur, zu glauben, was der Schütze erzählt – oder eben nicht. Viel zu tun für den Strafverteidiger und am Ende ein Urteil, das genauso gut anders lauten könnte. Eine Glaubensverkündung gewissermaßen – eigentlich die Aufgabe des Pfarrers, nicht des Richters.

Im Fall der Berliner Raser hat der Volksmund sein Urteil längst gesprochen: Sinnlose Raserei und sinnlose Tötung, also Mord. Spätestens jetzt benötigen wir den Pfarrer vom vorherigen Absatz: Herr vergib‘ ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!

Was denkt denn wohl der Raser, bevor er auf‘s Gas tritt? Ist er wirklich so kaltblütig, dass ihm querkommende Autos egal sind? Oder denkt er viel eher, es werde schon gut gehen? Oder ist er schlichtweg zu doof zum Denken, was zumindest mit der studentischen Faustformel nicht zu lösen wäre.

Bevor Du, geneigter Leser, nun den Daumen senkst, frage Dich doch einmal, wie Du bei anderen Verkehrsvergehen entscheiden würdest. Was ist mit dem Brummifahrer, der ungebremst in das Stauende rast, weil er die Abstandsautomatik abgeschaltet hat, um schneller voranzukommen? Was ist mit der Feuerwehr im Einsatz, die mit Blaulicht über die rote Ampel rast, weil es Vorschrift ist, dass alle anderen warten müssen? Und was ist mir Dir selbst, der Du es morgens im Berufsverkehr mal wieder besonders eilig hast und schnell noch über den Zebrastreifen huschst?

Alle Autofahrer wissen um die Gefahren und brechen dennoch permanent die Gesetze. Aber gilt darum für sie, was Tucholsky einst über die Soldaten sagte?