Verbrecher

Was ist eigentlich ein „Verbrecher“?

Beim Begriff des Verbrechens scheiden sich die Juristen vom Rest der Welt.

Wer jemals § 12 des Strafgesetzbuches gelesen hat, weiß, dass ein Verbrechen nichts anderes ist, als eine Straftat, die mit mindestens 1 Jahr Haft bedroht wird. Sagt das Gesetz „mindestens 1 Jahr“, liegt ein Verbrechen vor; sagt es „6 Monate bis 5 Jahre“, dann eben nicht.

Außerhalb der Justiz hingegen ist „Verbrechen“ ein Kampfbegriff. Noch so engagiertes Eintreten gegen das Bienensterben, den Pflegenotstand oder die Kinderarmut wird milde belächelt. Wer jedoch das Verbrechen bekämpft, wird populär, egal ob die Definition des § 12 StGB greift oder nicht. Denn statistisch gesehen muss jeder in diesem Land etwa alle 400 Jahre mit einem Wohnungseinbruch rechnen. Das macht Angst, das erfordert den starken Staat.

Zahlreiche wichtige gesellschaftliche Aufgaben liegen bei uns brach, bis irgendwer sie als Verbrechensbekämpfung begreift. Dann wird gehandelt! Betrachten wir beispielsweise psychisch kranke Menschen, so gäbe es durchaus viel zu regeln, denn beim Umgang mit ihnen liegt Manches im Argen. Das gilt oder galt jedoch bisher als gesetzgeberische Drecksarbeit. Wer befasst sich schon gerne damit, wie man diese Menschen behandelt und wer das bezahlt.

Doch nun hat Bayern das Verbrecherpotential psychisch Kranker erkannt und ein neues Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz (BayPsychKHG) auf den Weg gebracht, das sich etwa zu 75% nicht mit der Hilfe für psychisch Kranke befasst, sondern mit der Frage, wie man die Gesellschaft vor ihnen schützt – so ähnlich wie beim terroristischen Gefährder.

Unterbringung, Einschränkung des Besuchsrechts, Fixierung (Fesselung ans Bett!), Überwachung. Durchsuchung, Zwang sind den Gesetzesverfassern wichtig. Darüber hinaus natürlich die Registrierung und Speicherung der Daten. Möglichst umfassend, möglichst lange.

Das Vorhaben ist nicht untypisch für die moderne Gesetzgebung, lediglich besonders zynisch. Bisher wurden nur bestimmte Verhaltensweisen von den selbsternannten Verbrechensbekämpfern ins Visier genommen (Gaffen, Trinken, Beleidigen im Internet). Jetzt trifft es erstmals den Menschen selbst, nicht sein Verhalten, sondern seine Eigenschaft, konkret sein Kranksein.

Vorfälle wie der in Münster geben solch unsäglichen Vorhaben Schub. Schließlich war es ein psychisch Kranker, der dort zwei Menschen tötete und Unzählige verletzte. Damit wird es fast unmöglich, derartige Gesetze noch zu bremsen. Es sei denn, man fragt sich einmal ernsthaft, was außer einer Stigmatisierung Betroffener diese bringen. Vielleicht glauben die Bayern ja wirklich, dass der Todesfahrer von Münster sich anders verhalten hätte, wenn er als psychisch Kranker registriert gewesen wäre.

Lassen wir sie es glauben, denn der Beweis des Gegenteils führt erfahrungsgemäß nur zu einer nochmaligen Verschärfung untauglicher Gesetze.