nulla poena sine lege

Was bedeutet eigentlich der „nulla-poena-Grundsatz“?

„Nulla poena sine lege“ ist der Paukenschlag des Strafrechts. Ein Satz, der so bedeutungsvoll ist, dass er im Gesetz gleich zweimal vorkommt, nämlich in § 1 StGB als Überschrift und Auftakt des Strafgesetzbuches und in Art. 103 Abs. 2 Grundgesetz als eines der Justizgrundrechte.

Wer die lateinische Sprache für ihre Kürze verehrt, wird sich wundern, wie prägnant auch das Deutsche sein kann, wenn man nicht zuviel durmherum redet. Nulla poena sine lege lässt sich nämlich wörtlich übersetzen in „Keine Strafe ohne Gesetz„.

Der Satz kommt daher wie in die Marmorsäulen des alten Rom gemeißelt, er stammt aber nicht aus der römischen Rechtskultur, auch nicht aus der deutschen Rechtsgeschichte, sondern wurde wohl zu Beginn des 19. Jahrhunderts geprägt von einem unserer großen Rechtsgelehrten: Anselm von Feuerbach.

Wie jeder gute Rechtsgrundsatz stehen diese Worte für sich. Sie bedürfen keiner Erläuterung. Schon die oben zitierten beiden Gesetzeswortlaute sind für meinen Geschmack unnötig lang: Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. Bringt das Gewollte auch nicht besser auf den Punkt, lässt aber den Laien schon ein- bis zweimal darüber straucheln, was ja nicht ganz ungewollt ist von Personen, die mit der Juristerei ihr Geld verdienen.

Wenn Du, geneigter Leser, einmal vor Gericht stehst und Deine Richter vorwurfsvoll fragst: „Wo steht denn, dass es verboten ist“, wirst Du Dich alledings wundern, wieviele Gesetze es gibt, deren Übertretung Strafe nach sich ziehen. Der nulla-poena-Grundsatz führt also weniger zu Strafbarkeitslücken, als zu einem Wust an Gesetzen, damit es solche Lücken gerade nicht gibt.

Manchmal gibt es aber auch Verhaltensweisen, die es vorher nicht gab und für die der Gesetzgeber erst ganz neue Verbotsnormen erfinden muss. Wer hätte denn vor 10 Jahren gedacht, dass die Menschheit sich irgendwann mal in asozialen Netzwerken virtuell den Kopf einschlägt? Oder Drogen im einem Darknet vertickt? Oder selbstfahrende Autos einen schlafenden Fahrer transportieren?

Wenn dieser Fall eintritt, der Gesetzgeber also etwas völlig Neues erstmals regelt, dann lohnt es sich, den nulla-poena-Grundsatz zu beachten, bevor man eine Strafe akzeptiert. Und wie dies geht, wollen wir nun einmal prüfen anhand des Kontaktverbotes aufgrund der Corona-Pandemie.

Allerorten wird ja verkündet, es sei verboten, sich mit mehreren Leuten privat zu treffen (Stichwort: Corona-Party). Das Land Rheinland-Pfalz verkündet sogar offiziell, es sei unzulässig, größere Familienfest zu feiern. Nachdem nun allerorten Lockerungen greifen, kann es wohl keinen Schaden mehr anrichten, einmal die Rechtslage genauer zu betrachten – gemeint ist die Rechtslage in RLP am heutigen Tage (5. Mai 2020).

Willst Du wissen, ob Du morgen anlässlich des sonnigen Wetters mit Freunden im Garten grillen darfst, dann musst Du ganz oben anfangen und zunächst einmal das Bundesrecht studieren. Einschlägig wäre hier das Infektionsschutzgesetz, welches in § 74 IfSG bestimmt, was strafbar ist. Grillen mit Freunden ist es nicht.

Nun solltest Du aber nicht nur Strafen, sondern auch Bußgelder vermeiden, weshalb als nächstes ein Blick in § 73 IfSG anzuraten ist. Diese Vorschrift kannst Du gerne in allen Verästelungen lesen – dann sehen wir uns in einer Woche wieder – oder Du fragst jemand, der sich damit auskennt. Der sagt Dir: Es kommt im Prinzip darauf an, was das jeweilige Bundesland geregelt hat.

Die Rheinland-Pfälzer folgen mir nun zur Fünften Corona-Bekämpfungsverordnung Rheinland-Pfalz (5. CoBeLVO) vom 30. April 2020, in Kraft seit dem 3. Mai 2020. Der Rest der Nation fragt einen Anwalt im eigenen Bundesland.

Die 5. CoBeLVO ist eigentlich recht übersichtlich, bis wir zu des Pudels Kern gelangen, nämlich § 15: Bußgeldvorschriften. Hier ist wieder Fleißarbeit gefragt, die ich bereits geleistet habe und daher zusammenfassen kann:

Die Bußgeldtatbestände Nrn. 1 – 30 betreffen allesamt Verstöße gegen § 1 der Verordnung, also die Schließung von Einrichtungen (Bars, Restaurants, Hotels, Schwimmbäder usw.). Sie sind für unsere Zwecke nicht einschlägig.

Die Bußgeldtatbestände Nrn. 31 – 36 betreffen Verstöße gegen § 2 der Verordnung, also das Verbot von Zusammenkünften in Kirchen, Vereinen, Freizeiteinrichtungen und so fort. Wiederum geht es nicht um das private Grillen.

Die Bußgeldtatbestände Nrn. 38 – 43 betreffen Verstöße gegen § 4 der Verordnung, also Zusammenkünfte im öffentlichen Raum, zu geschäftlichen, beruflichen oder dienstlichen Anlässen, in Verkehrsmitteln, auf Spielplätzen oder zu Beerdigungen. Das private Grillen ist auch hier nicht erfasst.

Die Bußgeldtatbestände Nrn. 44 – 68 regeln dann noch einige – für uns nicht einschlägige – Spezialfälle (Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen, Durchreisende, Rückreisende, Menschen in Quarantäne). Auffällig sind hier die Nrn. 63 und 65, die sich mit dem Empfang von Personen befassen, die nicht dem eigenen Hausstand angehören. Einschlägig ist dies aber nur in Fällen des § 12 der Verordnung, also dann, wenn diese Personen formell unter Quarantäne stehen.

Wer jetzt aufgepasst hat, wird mich fragen, was mit der Nr. 37 ist, die Verstöße gegen § 3 der Verordnung ahndet, wo es kurz und bündig heißt: Die Durchführung von Veranstaltungen jeglicher Art ist untersagt. Verbirgt sich hier vielleicht das vielgefürchtete Kontaktverbot?

Um diese Frage zu klären scrollen wir ganz zurück an den Anfang der Verordnung, bis zur Überschrift über die §§ 1 bis 6. Und was lesen wir dort? – AUFENTHALT IM ÖFFENTLICHEN RAUM. Damit verliert auch das Verbot der Durchführung von Veranstaltungen seinen Schrecken, denn Dein Garten, in dem Du grillst, ist Privatgelände.

Mir sind die Geschichten sehr wohl bekannt von Feten, die aufgelöst wurden, von Geburtstagsfeiern, die mit Bußgeldern für jeden Gast sanktioniert wurden und von Jubilaren, die ihren 100. Geburtstag nicht im Kreise der Schulfreunde feiern durften.

Zumindest bei Letzteren war sicher nicht die Corona-Verordnung die Ursache. Und was die angeblich verhängten Bußgelder betrifft, halte ich mich an meinen Namenspatron: Der hat nur geglaubt, was er selbst sieht. Sollte ich einen solchen Bußgeldbescheid erhalten, würde ich vor Gericht dagegen vorgehen.

Übrigens

Falls Du jetzt zur Grillfeier lädst und Dich fragst, ob dann Maskenpflicht besteht oder der Mindestabstand eingehalten werden muss, dann arbeite Dich doch mal selbst durch die Vorschriften. Du weißt ja jetzt, wie´s geht 😉