Lebenslang

Wie lange ist eigentlich „lebenslang“?

James Eagan Holmes müsste eigentlich im Guiness-Buch der Rekorde stehen. Tut er zwar nicht, aber er hat noch viel Zeit, auf Neuauflagen zu warten. Sein Urteil lautet nämlich auf 12 Mal lebenslänglich plus zusätzlich 3.318 Jahre Haft. Ich habe zwar den Prozess nicht verfolgt, stelle mir aber gerade vor, wie der Staatsanwalt auf 13 Mal lebenslänglich plus 3.500 Jahre plädiert und der Verteidiger das Gericht um 1 Leben plus 182 Jahre runterschwätzt. Anschließend fragt er seinen Mandanten voller Stolz auf seine Leistung: »Na, wie war ich?«

Ein solcher Erfolg bliebe ihm bei der deutschen Justiz versagt, denn das Urteil gegen Holmes wurde in den USA gefällt. In Deutschland hätte das Gericht den Staatsanwalt verwundert angeschaut. Denn bei uns steht im Gesetz: »Das Höchstmaß der zeitigen Freiheitsstrafe ist fünfzehn Jahre.« 20 Jahre oder 25 oder 100 und mehr könnten demnach also nicht verhängt werden.

Die ersten Kommentatoren greifen jetzt schon in die Tasten, um mich zu belehren, dass es auch »lebenslänglich« gibt. Dazu komme ich aber erst später, hier geht es zunächst um die »zeitige« Freiheitsstrafe.

Manche Straftäter werden bekanntlich mehrfach straffällig. Die naheliegende Frage ist dann, ob die 15-Jahres-Grenze pro Tat gilt oder eine Obergrenze für alle Taten zusammen bildet. Das ist nicht ganz einfach zu beantworten. Grundsätzlich kennt das Strafrecht den Mengenrabatt, der im Juristendeutsch »Gesamtstrafe« heißt. Stellen wir uns einen Täter vor, der jeweils zum Monatsersten seinen Hartz-4-Regelsatz durch einen schweren Raub aufbessert, für den er bis zu 5 Jahre pro Einzelfall bekommen müsste. Kurz vor Weihnachten wird er erstmals verurteilt, weil man ihm die Raubüberfälle im ersten Halbjahr zwischenzeitlich nachweisen konnte. Unser Räuber bekommt dann nicht 6 x 5 Jahre, sondern es wird eine Gesamtstrafe gebildet, die maximal 15 Jahre betragen darf.

Immerhin reicht es für eine Zelle in der nächsten JVA, wo unserer Räuber dann ganz entspannt abwarten darf, ob man ihm die Raubüberfälle im zweiten Halbjahr auch noch nachweisen kann. Im Ergebnis kann ihm das nämlich egal sein. Zwar wird man ihn ein zweites Mal vor Gericht stellen. Er bekommt aber nicht bis zu 6 x 5 Jahre dazu, auch nicht 1 x 15 Jahre obendrauf, sondern es gilt weiterhin die Obergrenze von 15 Jahren für alle Taten zusammen. Nach dem Urteil wird er dann wahrscheinlich sagen: »Verbrechen lohnt sich doch.«

Nun ist der Hartz-4-Regelsatz angeblich knapp bemessen. Stellen wir uns darum einmal vor, auch das Zusatzeinkommen unseres Räubers hätte nicht bis zum nächsten Monatsersten gereicht, weshalb er in der glühenden Julihitze seinen Durst löschen musste, indem er eine Dose Bier für 39 Cent aus einem Laden mitgehen ließ. Auch diese Akte landet irgendwann bei einem Staatsanwalt, allerdings zu einem Zeitpunkt, als der Räuber schon wegen der Raubüberfälle im ersten Halbjahr inhaftiert ist. Weil unsere Staatsanwälte aber fleißig sind, klagen sie auch diesen Ladendiebstahl noch an.

Nun hat unser Räuber Grund zu zittern!

Der Diebstahl einer Bierdose lag nämlich genau zwischen dem ersten und dem zweiten Halbjahr. Der Trick mit der Gesamtstrafe von maximal 15 Jahren funktioniert nun nicht mehr. Das Gericht wird vielmehr aus den ersten 6 Raubüberfällen und dem Bierdosendiebstahl eine Gesamtstrafe bilden, die – mittlerweile dürfte es jeder kapiert haben – 15 Jahre nicht überschreiten darf. Die Raubüberfälle im zweiten Halbjahr können nun aber nicht mehr in die Gesamtstrafe einbezogen werden. Unser Räuber bekommt also für das zweite Halbjahr zwar nicht 6 x 5 Jahre, aber eine zusätzliche Strafe von maximal 15 Jahren.

Im Endeffekt könnte er sich also 30 Jahre einfangen. Er darf sich dann neben James Eagan Holmes für einen Eintrag im Guiness-Buch bewerben, und zwar in der Sparte »Teuerste Bierdose aller Zeiten.«

Von einer 30jährigen Haft ist es nun kein großer Sprung mehr zur lebenslangen Freiheitsstrafe. Die gibt es tatsächlich und der Volksmund glaubt zu wissen, dass es sie nur für Mord gibt. Stimmt leider nur fast, denn das Gesetz kennt auch einen besonders schweren Fall des Totschlags. Der wird ebenfalls mit lebenslang bestraft. Außerdem gibt es Taten »mit Todesfolge«. Wenn das Opfer einer Vergewaltigung oder eines Raubes zwar nicht bei der Tat getötet wird, aber durch die Folgen der Tat stirbt, droht dem Täter lebenslang.

Lebenslang heißt – lebenslang! Wenn die Presse von einer lebenslänglichen Verurteilung berichtet, gibt es immer irgendwo einen, der sich damit auskennt und prophezeit, dass der Verurteilte »in 15 Jahren wieder draußen« sei. Ganz so einfach ist dies nicht. Es wird lediglich nach 15 Jahren erstmals geprüft, ob die Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Dies ist aber kein Selbstläufer. Oftmals fehlt es an der Prognose, dass der Häftling sich bewähren werde. Dann muss er eben nachsitzen.

Obendrein – wir sind hier schließlich in Deutschland – hat der Häftling auch einen Anspruch darauf, dass seine lebenslange Freiheitsstrafe ordnungsgemäß vollstreckt wird. Wenn die Justiz ihn nach 15 Jahren einfach rausschmeißen will, darf er darauf bestehen, weiter drin zu bleiben. Ich hatte Anfang der 1990er Jahre mal mit einem Gefangenen zu tun, der Mitte der 1960er Jahre inhaftiert worden war. Er hatte also das Leben in Freiheit verloren zu einer Zeit, als der Schwarzweiß-Fernseher für seine Mitbürger die Krone des technischen Fortschritts war. Bereits die Mondlandung hatte er im Knast miterlebt, ebenso alles, was danach folgte. Das Leben »dort draußen« macht ihm Angst. Er wollte sein Gefängnis nicht verlassen und ist später dort auch gestorben. Lebenslang heißt – lebenslang!

Die Möglichkeit, trotz einer Verurteilung zu lebenslanger Freiheitsstrafe irgendwann auf Bewährung entlassen zu werden, verdanken wir übrigens dem Bundesverfassungsgericht. Das musste sich im Juni 1977 mit der Frage befassen, ob die lebenslange Vollstreckung einer Freiheitsstrafe mit der Würde des Menschen vereinbar ist. Das BVerfG hat damals viele Gutachten eingeholt und sich in seinem Urteil damit auseinandergesetzt.

Wer etwas über die Auswirkungen einer Langzeithaft erfahren möchte, dem empfehle ich die Lektüre => hier. Für die Eiligen zitiere ich, was dort über den Zustand eines Menschen nach 20 Jahren hinter Gittern gesagt wird:

»Dann beginnt … ein grausames Zerstörungswerk des inneren Lebens durch die abtötende Haft. Das Notwendigste und Beste im Menschen, sein Wille, zum Schlechten, aber auch zum Guten wird langsam, aber sicher gewürgt. Es fehlt die den Menschen »heiligende« Freude. Das Vegetieren beginnt und siegt. Die Gefangenen werden stumpf und gefühllos, Maschinen, endlich Ruinen. Das ist der Nährboden für entstehende geistige Störungen.«