JEDEM EINE AKTE
Unaufhaltsam naht der Umzug der Kreuznacher Justiz. Die Staatsanwaltschaft weiß allerdings jetzt schon, dass sie es nicht rechtzeitig schaffen wird. Der Grund: Zu viele Akten.
„Seit es die polizeiliche Kriminalstatistik gibt, habe ich den Eindruck, die Polizei wird nach Fallzahlen vergütet“, beklagt der Leitende Oberstaatsanwalt. „Es gibt bei uns bald mehr Strafakten als Einwohner im Bezirk.“ Darum bittet die Staatsanwaltschaft Bad Kreuznach nun offiziell die Bevölkerung um praktische Umzugsbeihilfe: Am 20. und 21. September jeweils von 8 bis 13 Uhr ist jeder Bürger aufgerufen, sich seine Strafakten persönlich dort abzuholen. Er muss sie nur mindestens eine Woche behalten und dann im neuen Gebäude wieder abgeben.
So soll der Aufwand mit dem Verpacken und Transportieren der Akten umgangen werden. Die Staatsanwaltschaft ruft ausdrücklich jeden vom Falschparker bis zum Killer auf Freigang dazu auf, an den genannten Terminen vorzusprechen und sein Aktenpaket in Verwahrung zu nehmen. „Umzug light“ heißt die Aktion und damit möglichst viele mitmachen, gibt es besondere Anreize: Ab drei mitgenommenen Akten wird Strafrabatt garantiert, ab fünf Akten wird sogar eines der Verfahren nach dem Zufallsprinzip eingestellt.
Um die Archive auch wirklich restlos zu leeren, startet am 22. September, dem letzten Tag im alten Gebäude, auch noch eine Schnäppchen-Aktion. Alle bis dahin noch nicht abgeholten Strafakten werden dann nämlich einfach an jeden abgegeben, der irgendein Interesse geltend macht. Wer also wissen will, was der böse Nachbar oder die abservierte Ex auf dem Kerbholz haben, kann sich am Freitag nach Herzenslust bei der Staatsanwaltschaft bedienen. Die Öffnungszeiten der Behörde wurden dafür extra bis 15 Uhr verlängert.
Bedenken, dass Akten nie mehr auftauchen könnten, hat man dort nicht. „Ich erkenne einen Gauner an der Nasenspitze, wozu brauche ich eine Akte“, erklärt dazu ein Berufsankläger, der namentlich nicht genannt werden will. Die Staatsanwaltschaft wäre allerdings keine solche, wenn sie die Aktion „Umzug light“ nicht zu Ermittlungszwecken nutzen würde. Dazu der Zentralorganisator: „Wir kopieren die Akten natürlich vorher. Nach Rückgabe vergleichen wir dann, welche Seiten heimlich entfernt wurden. Dadurch gewinnen wir Erkenntnisse darüber, wer was zu verbergen hat.“
Und noch einen Vorteil hat die Behörde erkannt: „Kopiert wird zweiseitig. Eine Aktenkopie ist also nur halb so dick wie das Original. Dadurch sparen wir beim Umzug nochmals 50 % an Aufwand.“