Was ist eigentlich eine „Wahlfeststellung“?
Geiz ist (angeblich) geil, was bei manchen Menschen zu wahren Hirnaussetzern führt. Das verlockend angepriesene Hightech-Mountainbike vom no-name-Plagiator zum Spottpreis von 150 Euro würde beim Discounter um die Ecke kaum einer kaufen. Sind Rahmen, Schaltung und Sattel aber von namhaften Herstellern, wird so mancher bei diesem Preis schwach. Auch wenn das Rad schon gebraucht ist und von einem Unbekannten in einer dunklen Seitengasse angeboten wird. Wer nie was billig kauft, kann eben nie was sparen.
Und so erwirbt Gerhard Geizhals ein Rad im Wert von etwa 1.500 EUR für 10 Prozent dessen, was er fairerweise hätte zahlen müssen. Gerade als er sich – mit neonfarbenem, atmungsaktiven Shirt, Radlerhose und Schutzhelm – damit sonntags im gut besuchten Stadtpark zur Schau stellt, wird er von Fritz Flink angehalten, dem das Rad vor kurzem erst gestohlen wurde und der es nun zurückhaben möchte. Doch Gerhard Geizhals wähnt sich für clever: »Hab ich für 500 gekauft, gib mir wenigstens 250 zum Ausgleich«, fordert er. Kurz darauf ist die Polizei vor Ort, die der nun arg in die Defensive geratene Gerhard Geizhals umgehend in die dunkle Seitengasse führt, hin zum Verkäufer jenes unseligen Drahtesels.
Der hat – ähnlich wie das Plagiat aus dem Discounter – fernöstliche Wurzeln, darum nennen wir ihn Lang Fing. Außerdem hat er Bewährung wegen einschlägiger Vorstrafen. Vor Gericht geht es also um viel, darum gibt Lang Fing alles: »Ich habe das Rad nicht gestohlen, sondern selbst günstg erworben«, verteidigt er sich und fügt hinzu: »Ich schwöre!« Das überzeugt den Richter, der ein salomonisches Urteil fällt: »Dem Angeklagten kann der Diebstahl nicht nachgewiesen werden, darum verurteile ich ihn wegen Hehlerei zu acht Monaten. Bewährung gibt’s keine.«
Das war sie: die Wahlfeststellung. Eine ganz ausgebuffte juristische Zwickmühle, denn eine Falle schnappt meistens zu. In der Praxis führt sie dazu, dass Strafrichter völlig entspannt etwas sagen können, was ihn sonst nur ungern über die Lippen kommt: »Dem Angeklagten kann der Diebstahl nicht nachgewiesen werden.«
Nur einen Tag später verkündet der Gesetzgeber eine Amnestie. Durch das Gesetz zur Wiederherstellung ordnungsgemäßer Eigentumsverhältnisse wird der Hehlerei-Paragraph ein Jahr lang außer Kraft gesetzt. So soll sichergestellt werden, dass alle Schnäppchen aus den dunklen Seitengassen endlich auf den Markt kommen und auf diese Weise letztlich verschwinden. Gegen Ende dieses Amnestiejahres kommt auch Lang Fing wieder auf freien Fuß und wie der Zufall es so will, verkauft er Gerhard Geizhals schon kurze Zeit später erneut ein Rad, das Fritz Flink just einen Tag zuvor gestohlen wurde. Der Rest ist bekannt, der Strafrichter not amused, Lang Fing erneut vor sich zu haben.
Und wie das täglich grüßende Murmeltier verteidigt Lang Fing sich erneut mit dem Satz: »Ich habe das Rad nicht gestohlen, sondern selbst günstg erworben.« Natürlich vergisst er auch nicht das inbrünstige »Ich schwöre!« Doch die Möglichkeit der Wahlfeststellung scheitert dieses Mal an der Amnestie für Hehler. Der Richter muss sich also entscheiden. Freispruch in dubio pro reo oder erneut Knast für Lang Fing?
Ich überlasse es Deiner Fantasie, geneigter Leser, die Beweiswürdigung des Gerichts selbst nachzuvollziehen. Eines dürfte aber doch klar sein: Die Quote des »Dem Angeklagten kann der Diebstahl nicht nachgewiesen werden« wird merklich abnehmen.