Denunziantentum

Wie macht man eigentlich eine „anonyme Anzeige“?

„Herr XY und sein Sohn vertreiben Kinderpornographie der übelsten Art. Der Computer ist im Keller versteckt“. So schrieb kürzlich ein Unbekannter an eine bayerische Staatsanwaltschaft. Ein Brief, der die Strafverfolger elektrisierte.

Die zuständige Kriminalpolizei stellte umgehend fest, dass die namentlich benannten Personen tatsächlich existierten. Ein sehr starkes Verdachtsmoment! Wenn einer behauptet, dass Elvis lebt und die Kripo bei ihren Ermittlungen feststellt, dass es einen Elvis zumindest einmal gab, dann spricht viel dafür, dass diese anonyme Anzeige auf wahren Tatsache beruht. Also auf nach Memphis zur Durchsuchung.

Allerdings barg der bayerische Fall ein Problem: Die Wohnadresse war falsch angegeben. Was nun? Die Staatsanwaltschaft entschied sich trotzdem dafür, Durchsuchungsbeschlüsse zu beantragen, was der zuständige Ermittlussgrichter aber ablehnte. Hiergegen richtet sich eine Beschwerde der Staatsanwaltschaft, die der Meinung war, das „ihre“ anonyme Anzeige weit über eine gewöhnliche anonyme Anzeige hinausgehe. Schließlich sei ja auch der Standort eines Computers – nämlich „im Keller“ – angegeben worden. Aber auch die Beschwerdekammer des Landgerichts wollte keinen Durchsuchungsbeschluss erlassen. Argument: „Anonyme Anzeigen rechtfertigen in der Regel keinen Anfangsverdacht. Jegliche andere Sichtweise würde dem Denunziantentum Tür und Tor öffnen.“

Wenn Du, geneigter Leser, Deinen Feind mit Erfolg denunzieren willst, dann sollte Dir dieser Fall eine Lehre sein. Was der Anzeigeerstatter nämlich hier versäumte, waren Fakten, die keine Fakten sind, sich aber so anhören als ob. Postfaktische Fakten gewissermaßen.

Willst Du es besser machen, so schreibe beispielsweise: „Der Computer wurde vor zwei Jahren im Media-Markt gekauft.“ oder „Die Eingangstür zum Keller ist knallrot lackiert.“ oder „Der Rechner ist durch ein Passwort gesichert.“ Solche Sätze wirken magisch auf die Ermittler, denn die fragen sich dann: „Woher sollte der anonyme Anzeiger so etwas wissen, wenn es nicht tatsächlich wahr ist?“ Sie können sich der Magie dieser Fakten nicht entziehen. Am besten Du zeigst Dich einmal anonym selbst an und verteidigst Dich dann mit dem Satz: „Meine Kellertür ist aber weiß.“ Dann wirst Du verstehen, was ich meine. Die Polizei wird alle Lackschichten auf der Kellertür abkratzen, nur um etwas Knallrotes zu finden.

Aber Vorsicht: Die postfaktischen Fakten sollten nicht zu präzise sein. Wenn Du in Deine Anzeige den Satz schreibst: „Neulich beim Stromausfall ging der Rechner aus.“ oder „Der Keller hat einen Seitenausgang in den Garten.“, dann verdirbst Du der Strafverfolgung den Spaß. Stromausfälle und Seiteneingänge lassen sich nämlich nachprüfen. So etwas sollte man nur behaupten, wenn es auch stimmt. Besser ist es allemal, möglichst schwurbelig zu bleiben, also nur so zu tun, als könne man Fakten liefern. Dann geht das Ding glatt durch.

Auf keinen Fall solltest Du Fakten erfinden, die Dich enttarnen. „Ich kann immer von gegenüber zuschauen“, wäre prinzipiell eine gute Idee, führt aber möglicherweise zu einer Durchsuchung nicht nur bei Deinem Nachbarn, sondern gleich auch noch bei Dir. Falsche Verdächtigung und üble Nachrede sind nämlich ebenfalls Straftaten und gegenüber von jemandem zu wohnen, der zu Unrecht denunziert wurde, erscheint Ermittlungsrichtern als ziemlich gutes Argument für den Erlass eines entsprechenden Beschlusses.

Du bekommst jetzt langsam ein flaues Gefühl im Magen, nicht wahr? Fragst Dich, ob Du in Deinem my home is my castle auch tatsächlich sicher bist vor unangenehmem Durchsuchungen. Nun, dann habe ich mit diesem Beitrag mein heutiges Ziel erreicht. Ich mag auch keine Denunzianten, wollte aber wenigstens mal gesagt haben, wie dünn das Eis ist, das Dich als Richtervorbehalt vorm Sturz ins eiskalte Wasser schützt.