Was ist eigentlich eine „polizeiliche Gewaltschutzverfügung“?
„Du Hase, was hältst du davon, wenn wir uns trennen?“ – „Wenn du meinst Schatzi, dann zieh ich eben aus.“ So beginnen täglich friedliche Trennungen im Land, die sich dann einen Monat später wie folgt fortsetzen: „Du Hase, wann ziehst du denn endlich aus?“ – „Ach Schatzi, ich habe so viel zu tun und hatte noch keine Zeit für die Wohnungssuche.“ – „Hase, wir müssen reden!“
Einige Stunden später fährt ein Polizeiauto vor und zwei Streifenpolizisten sollen jetzt entscheiden, ob Hase Schatzi geschlagen hat oder Schatzi nur Hase möglichst schnell aus dem Haus bekommen wollte. Schatzi behauptet Lebensgefahr, Hase hat sich nach der zermürbenden Diskussion einen Cognac gegönnt. Die Beamten registrieren eine Alkoholfahne, verwaschene Aussprache und eine ungehaltene Reaktion auf das Erscheinen zweier Polizisten im Wohnzimmer. Damit ist die Entscheidung gefallen: Hase muss die Wohnung für eine Woche verlassen. Die Möglichkeit hierzu bieten die Polizeigesetze der Länder (in RLP § 13 Abs. 4 POG). So enden täglich friedliche Trennungen im Land.
Was bleibt ist die Frage, wer hier wem Unrecht getan hat. Zwei Möglichkeiten bieten sich an.
Variante 1: Hase ist ein gewalttätiger Psychopath. Es interessiert es ihn nicht die Bohne, was die Polizei ihm verbietet. Er wird zurückkommen, wieder rausfliegen, wieder zurückkommen und immer so weiter. Für Schatzi wird das Leben zur Hölle, die Polizei bald täglich zu Gast sein. Ich nenne dies die nutzlose Gewaltschutzverfügung, weil sie nichts bringt, außer dass jeder Verstoß dagegen eine Straftat ist. Nach jahrelangem Kampf häuft sich dies so an, dass die ultima ratio des Rechts greift: Gefängnis. Das verschafft Schatzi 1 – 2 Jahre Luft bis zur Entlassung, dann wird es schlimmer als zuvor. Denn kranke Hirne akzeptieren nicht, ihre Misere selbst verursacht zu haben. Statt Liebe, die es eh nie war, flammt bei Hase Rachsucht auf und Schatzi wird dies bitter büßen müssen.
Variante 2: Schatzi hat die Polizei eiskalt an der Nase herumgeführt. Gewalt hat es nie gegeben, allenfalls laute Worte in der Hitze eines Streits. Die Scherben der Vase im Flur wurden selbst und eigens zu diesem Zweck verursacht. Aber was ist eine kaputte Vase gegen die plötzliche Lösung vieler Probleme? All die kniffligen Rechtsfragen um Wohnung und Kinder sind durch ein paar gespielte Tränen zum rechten Zeitpunkt gelöst. Und selbst wenn Hase seine Unschuld beweist, wird das Jugendamt ihm Schwierigkeiten bereiten. Denn was sollen die Kleinen denken von einem Elternteil, der von Polizisten aus dem Haus geführt wurde? Da droht doch sicher eine Gefährdung des Kindeswohls. Maximal begleiteter Umgang ist dann noch drin. Ich nenne dies die instrumentalisierte Gewaltschutzverfügung. Sie wird für Hase zur Hölle, denn die von der Polizei in bester Absicht und nur für einen kurzen Zeitraum geschaffenen vollendeten Fakten, werden gravierende nachteilige Konsequenzen haben im Kampf um Kinder und Wohung
Du fragst dich nun, geneigter Leser, wie man diese Probleme anders lösen sollte. Aber frage nicht mich, denn ich weiß es auch nicht. Der Gesetzgeber bekommt Stalking seit Jahrzehnten trotz ständig verschärfter Gesetze nicht in den Griff. Die (regelmäßig weiblichen) Opfer haben den Glauben an die Justiz längst verloren. Ebenso wird die Instrumentalisierung der Polizei zur Lösung von Partnerschaftskonflikten zunehmend Methode. Ich habe den Eindruck, manche Anwälte raten gezielt dazu. Die (regelmäßig männlichen) Opfer erleben eine traumatische Entrechtung.
Was mir eindeutig scheint: Die massiven Grundrechtseingriffe durch derartige Polizeiverfügungen (praktisch erfolgt dies durch 3 Kreuzchen auf einem Vordruck und einem knappen Satz Begründung), sind nicht zu rechtfertigen. Denn wo die Maßnahme erforderlich ist, wirkt sie nicht. Wo sie aber wirkt, war sie von Anfang an falsch. Dieses Instrument sollte der Polizei genommen und in die Hände von Richtern gelegt werden. Nach Festnahmen sind Verdächtige binnen 24 Stunden einem Haftrichter vorzuführen. Weshalb sollte dies nicht auch beim Gewaltschutz – zumindest auf Antrag – möglich sein?
Ob Hase schlägt oder Schatzi lügt, ließe sich durch eine richterliche Anhörung allemal treffsicherer klären als während eines nächtlichen Polizeieinsatzes. Zwar bliebe Schatzi gegen Stalker weiterhin schutzlos, aber zumindest würde Hase vor einer instrumentalisierten Gewaltschutzverfügung bewahrt. Das wäre bei Variante 1 wenigstens kein Rück-, bei Variante 2 sogar ein deutlicher Fortschritt. Aber dazu müsste man die Justiz auch endlich mal wieder in die Lage versetzen, ihre Aufgaben zu erfüllen. Einfach den Ermittlungsrichtern nun auch noch zahllose Fälle häuslicher Gewalt zuzuweisen, wäre gewiss zu kurz gedacht. Eine solche Schnellanhörung in Gewaltschutzssachen benötigt zusätzliche Richter, sie kostet Geld. Doch es geht darum, massives Unrecht zu verhindern, da darf der Rechtsstaat nicht sparen.
Daher schreibe ich diese Gedanken bewusst am Vorabend eines Regierungswechsels dem neuen Justizminister ins Stammbuch.