Symbolpolitik

Was ist eigentlich „Symbolpolitik“?

Als ich jung war und mich für Politik zu interessieren begann, wurde mein Grips auf eine harte Probe gestellt. Damals (wir reden von den ausgehenden 1970ern), gab es zwei Supermächte, die sich einen erbarmunglosen kalten Krieg lieferten. Begonnen hatte der wohl schon in den 1950ern, als Supermacht A zu Supermacht B sagte: „Schau her, wieviele Atombomben ich habe, damit kann ich dich platt machen.“ B kurbelte daraufhin seine Rüstung an und antwortete kurz später: „Ätsch ich habe genug Bomben, um dich zweimal platt zu machen“ – und so begann die Rüstungsspirale.

In meiner Jugend stand es etwa 250mal Plattmachen gegen 240mal Plattmachen, aber das änderte sich ständig. „Overkill“ nannten die Supermächte dieses Spiel, in das sie Milliarden und Abermilliarden investierten. Der Rest der Welt schaute gebannt zu.

Aber sonst waren die Zeiten ganz nett, die Miniröcke aufregend kurz und das Leben ziemlich locker. Auf Partys gab es mehr Auswahl an Rauchwaren als an Alkohol, bei dem man nur zwischen Bier und Wein unterschied. Dazu erzählten wir uns Witze über Biafrakinder. Und wer auf die Frage, wie ein solches Kind vom Baum fällt, mit der Hand ein wedelndes Blatt Papier nachahmte, landete einen Brüller. So war das mal.

Allerdings wussten wir damals nicht genau, was Biafrakinder sind und es herauszufinden wäre schwierig gewesen. Denn es gab noch kein Internet, Nachrichten wurden nur abends vor dem Hauptprogramm geliefert und sie berichteten nicht wie heute, was Menschen erregt, sondern ausschließlich, was wichtig war. Biafra war nicht wichtig. Jedenfalls nicht täglich, allenfalls zu Weihnachten, wenn die Kirchen sammelten, weil sie sich für Kinder einsetzten. Das haben wir denen geglaubt.

Irgendwann konnten die Supermächte sich den Overkill nicht mehr leisten, weshalb sie eine Abrüstung vereinbarten. Jeder gelobte, den anderen höchsten 150mal plattzumachen. Das nannte man dann Frieden. Ich war mittlerweile schon etwas älter, ein ganz klein wenig kritisch und geplagt von der Frage, wieviele Biafrakinder wohl nicht sterben müssten, wenn die Supermächte sich darauf verständigen würden, einander wechselseitig nur 50mal plattzumachen. Denn eins war immer schon klar: Einmal platt ist vollständig platt. Jedes weitere Plattmachen wäre ohnehin sinnlos. Logisch war der Overkill also nicht, viel eher eine Zumutung für den Verstand. Politik eben.

Wohin nun mit diesen Sorgen?

Aus dem Blickwinkel der Biafrakinder hätte ich den Pfarrer fragen müssen. Tat ich nicht – zum Glück. Statt dessen löcherte ich den Sozialkundelehrer so lange, bis ihm das Zauberwort entfuhr, welches den Overkill vollends ad absurdum führte: Symbolpolitik. Sie wollten sich gar nicht 50 oder 100 oder 200mal plattmachen, sie wollten nur so tun als ob. Du wirst, geneigter Leser, verstehen, dass ich Politiker seither nicht mehr ernst nehmen kann.

Immerhin betrachte ich die Weltpolitik seither so entspannt wie auf einer verrauchten Party in den 70ern, denn mir ist völlig klar: Die wollen nur spielen. Allerdings ist das Spiel etwas komisch geworden. 100.000 russischen Soldaten im Grenzgebiet setzen wie 2000 amerikanische Soldaten und 5000 deutsche Stahlhelme entgegen. Klingt mehr nach Harakiri als nach Overkill.

Dafür sind die Politikersprüche heute schöner. Sie sagen nicht mehr „Ich mach dich platt“, sondern „Wir verteidigen die Demokratie in der Ukraine.“ Die besteht zwar aus Oligarchie, Korruption, Clanwirtschaft statt Marktwirtschaft und Säureattentaten auf Oppositionelle, aber wir dürfen die Lehren des kalten Krieges nicht vergessen. Denn Politiker wollen etwas nicht wirklich tun, sondern nur so tun als ob.

Was die Frage aufwirft, wozu das Ganze?

Beim Overkill war es relativ einfach. Die Rüsting kostete viel viel Geld, das interessierte Kreise sich eben in die Taschen scheffelten. Und bei der Ukraine? Worum geht es dort wirklich?

Ich weiß es nicht, aber es gibt da eine komplett fertiggestellte Pipeline, genannt North Stream 2. Würde russisches Gas darüber direkt zu uns fließen, müsste es nicht durch die Ukraine gepumpt werden. Allerdings könnte die Ukraine dann auch nichts daran verdienen, unser deutscher Gaspreis würde schlimmstenfalls sogar sinken. Wie hinter jeder Symbolpolitik stecken also auch hinter dem Ukrainekonflikt handfeste wirtschaftliche Interessen.

Warum wir aber teures Gas über die Ukraine beziehen statt günstigeres Gas über North Stream 2 konnte mir noch niemand richtig erklären. Information täte not, aber die ist irgendwie nicht Teil der Symbolpolitik. Denn berichtet wird nicht, was interessiert, sondern was erregt. Fakten zur Ukrainepoliktik gehören wohl nicht dazu.

Habecks Denkfehler

Gibt es eigentlich ein „Recht auf Rasen“?

Robert Habeck weiß das Sommerloch zu nutzen. Denn wer verkündet, im Falle einer Regierungsbeteiligung seiner Partei werde ein generelles Tempolimit auf Autobahnen kommen, dem ist in Deutschland Aufmerksamkeit gewiss, selbst wenn es derzeit überhaupt keinen Grund gibt, über eine derartige Regierungsbeteiligung nachzudenken.

Den Juristen interessiert an dieser Erklärung weniger das politische Tamtam, sondern eher die rechtlichen Ausführungen, die Habeck gleich mitgeliefert hat. Denn der Slogan „freie Fahrt für freie Bürger“ genießt hierzulande so etwas wie Verfassungsrang. Der deutsche Michel bleibt relativ gelassen, solange Polizeigesetze und Strafprozessreformen seine Rechte zunehmend einschränken, aber er wird zum Revolutionär, wenn er den Fuß vom Gas nehmen soll. Bürgerrechte seien durch das Tempolimit aber gar nicht in Gefahr, lässt Habeck dazu verlauten, denn es gebe kein Recht auf Rasen. Da zeigt sich der Unterschied zwischen Politik und Juristerei, denn Juristen definieren zuerst und formulieren dann Argumente. Bei Politikern ist es umgekehrt. Wer sich zum Recht auf Rasen qualifiziert äußern möchte, sollte zuerst begründen, was er unter Rasen versteht. Darum dreht sich nämlich die Diskussion: Weshalb sollte auf einer 4spurigen Autobahn das Überholen mit 150 Km/h Raserei sein?

Ein Habeck gibt sich mit solch gedanklicher Basisarbeit nicht ab, denn er ist nicht Denker, sondern Dogmatiker. Das Ergebnis steht für ihn fest: Über 130 Km/h ist Raserei. Daher begeht er einen Fehler, der in der Rhethorik zutiefst verpönt ist. Er begründet eine Behauptung mit der Behauptung selbst. Hätte Habeck gesagt: „Die Sonne scheint mit 30 Grad, also ist Sommer„, wäre er vielleicht als Logiker durchgegangen. Aber er sagt letztlich, dass die Sonne mit 30 Grad scheine und darum wohl eine Sonne sei.

Dies nennt man einen Zirkelschluss. Er disqualifiziert das Scheinargument ebenso wie den, der es vorbringt.

Wahlrecht

Bundestagswahl 2017

In Berlin ist die Aufregung groß wegen der nicht zustande gekommenen Jamaika-Koalition. Dabei ist noch immer nicht geklärt, ob die letzte Bundestagswahl gültig war. Ernstzunehmende Stimmen halten die Wahl für verfassungswidrig wegen der zu hohen Zahl an Überhangmandaten. Denn das BVerfG hat bereits am 25.7.2012 geurteilt, dass mehr als 15 Überhangmandate unzulässig sind (BVerfGE 131,316).

Das Wahlrecht steht im Brennpunkt machtpolitischer Interessen. Darum wurde es immer nur halbherzig reformiert. In dem Büchlein „Dexheimers Gedanken“ habe ich mir vor längerem bereits Gedanken darüber gemacht, was man am Wahlrecht noch so ändern könnte:

Heute vor 60 Jahren trat das Bundeswahlgesetz in Kraft, dessen wesentliche Neuerung die 5%-Sperrklausel war. Umfragen aus jener Zeit belegen, dass die Mehrheit der Deutschen statt dessen lieber einen Einparteienstaat gehabt hätte. Da war wohl die jüngere Geschichte noch nicht ganz verarbeitet.
Heutzutage wird am Wahlrecht nur noch wegen der Überhangmandate herumgedoktert. Ansonsten gilt es als bewährt. Als ob es nicht immer noch etwas zu verbessern gäbe.

Anlässlich der Präsidentschaftswahl im Iran ist mir eine nette Regelung dort – ja, bei den bösen Mullahs – aufgefallen: Wenn nämlich am Ende des Wahltages noch großer Andrang herrscht, kann jeder lokale Wahlleiter die Wahlzeit notfalls bis Mitternacht verlängern. Das ist doch mal echt bürgerfreundlich.
Bei uns muss unabänderlich um 18 Uhr feierlich das Ende der Wahl verkündet werden, damit zwei Stunden später die Berliner Runde zusammentreten kann. Dort schwadronieren sie dann über den Wählerwillen.

Ein zeitlich offener Wahlausgang würde dieses Ritual vereiteln, weshalb Parteien und Medien in trauter Eintracht verhindern werden, dass die Wähler auch nur eine Minute mehr zur Stimmabgabe erhalten.
Alle Macht geht vom Volke aus? Ich fürchte eher, alle Macht geht dem Volke aus.