Warum schließen Verteidiger eigentlich „Honorarvereinbarungen“ ab?
Gestern habe ich eine Revisionsbegründung fertiggestellt. Das gesetzliche Honorar dafür beträgt mindestens 120,.- EUR und höchstens 1.110,- EUR. Für einen einzigen Brief! Nicht schlecht – könnte man denken. Schauen wir also mal genauer hin:
Mein Mandant hat von einem Landgericht 5 Jahre Freiheitsstrafe bekommen. Für schweren Menschenhandel, dirigierende Zuhälterei, Vergewaltigung und diverse andere Ungezogenheiten. Die Hauptverhandlung dauerte 16 Tage. Um meine Arbeit (Begründung der Revision) zu erledigen, habe ich ein 133 Seiten starkes Urteil, 387 Seiten Sitzungsprotokoll und genau einen Monat Zeit. Diese Frist ist nicht verlängerbar.
Zunächst analysiere ich die 133 Seiten Urteil ganz exakt, mehrfach, zigfach, immer wieder.
Gleich am Anfang geht es los: Das Gericht hat sich über die persönlichen Verhältnisse des Verurteilten – also seine Finanzen – anhand seiner Bankunterlagen ein Bild gemacht. Also blättere ich die 387 Seiten Protokoll durch, was dazu vermerkt ist. Wurden die Bankordner nur „zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht“ oder wurden sie „vom Gericht in Augenschein genommen“? Beides würde nicht ausreichen, aber laut Protokoll wurden die Kontoauszüge „verlesen“. Diese Spur führt mich also nicht weiter, darum beginne ich wieder von vorne. Urteil lesen, Protokoll lesen, mehrfach, zigfach, immer wieder.
Dann die nächste Fährte: Am 8. Verhandlungstag war der Protokollführer erkrankt. Er wurde durch einen anderen Justizbeamten ersetzt. Ganz am Ende des Prozesses, wenn das Protokoll unterschrieben wird, war der Ersatzman aber nicht beteiligt. Das wird zu Problemen für die Justiz führen! Allerdings nur deshalb, weil ein Anwalt weiß, worauf er achten muss und wie er mit einem solchen Fehler umzugehen hat. Du, geneigter Leser, wirst Dir wahrscheinlich nicht einmal vorstellen können, dass eine fehlende Unterschrift überhaupt eine Rolle spielt. Denn Du verwendest nicht jeden Tag einen Teil Deiner Zeit zur Fortbildung – schon lange bevor die konkrete Revisionsbegründung beginnt.
Der Mandant liefert natürlich auch Hinweise: Er erinnert sich genau, dass alle Zeugen sein Auto als blaues Auto beschrieben haben, obwohl der Täter nachweislich ein rotes Auto fuhr. Im Urteil wird aber fälschlicherweise behauptet, das Auto des Mandanten sei rot gewesen. Außerdem hatte der Täter laut Urteil eine Glatze, mein Mandant aber lange Haare. „Interessant“, sage ich dazu, was die höfliche Variante von „Interessiert mich nicht, weil es keine Rolle spielt“ ist.
Adressat meiner Revisionsbegründung ist letztlich der Bundesgerichtshof (BGH), das höchste deutsche Strafgericht. Dort werden demnächst 5 Berufsrichter über die Revision entscheiden, und zwar auf der Basis dessen, was das Landgericht als Sachverhalt festgestellt hat. Ob diese Feststellungen richtig oder falsch sind, interessiert die Damen und Herren am BGH nicht. Es sei denn, das Landgericht hätte in sein Urteil geschrieben: „Das Wasser floss den Berg hinauf, wo es bei hoch-sommerlichen Temperaturen zu Eis gefror.“ Das nennt man dann einen „Verstoß gegen die Denkgesetze“ und führt zur Aufhebung des Urteils. Solange das Landgericht nur Rot und Blau verwechselt und Langhaarigen eine Glatze attestiert, muss der Verurteilte eben damit leben. Im Knast kann er ja 5 Jahre darüber nachdenken.
Habe ich alle Fehler gefunden (hoffentlich nicht die entscheidenden übersehen), müssen diese in einer ganz bestimmten Form zu Papier gebracht werden. BGH-Richter gehen an eine Revisionsbegründung heran wie der Bömmel aus der Feuerzangenbowle an die Dampfmaschine: „Da stelle mehr uns janz dumm.„
Hat das Landgericht den entscheidenen Alibi-Zeugen einfach nicht geladen, obwohl dies dutzendfach beantragt wurde, mag dem Laien dies fehlerhaft erscheinen. Dem BGH muss man aber zusätzlich noch erklären, was dieser Zeuge voraussichtlich ausgesagt hätte und warum das Urteil dann anders ausgefallen wäre. An diesen Formalien scheitern die meisten Revisionen. BGH-Richter erklären bei Fortbildungsveranstaltungen ungerührt, wie sie Fehler im Urteil zweifelsfrei erkannt haben. Es hat sie aber nicht interessiert, weil der Anwalt den Fehler nicht formvollendet gerügt hat.
Macht ja nix, geht ja nur um 5 Jahre Haft.
Wenn die Revisionsbegründung fertig ist, hat man Tage und Nächte mit dem Urteil und dem Protokoll verbracht. Für einen einzigen Brief? Ich habe es mir abgewöhnt, die Stunden zu zählen, denn sonst müsste ich wohl ernsthaft darüber nachdenken, ob mir der gesetzliche Mindestlohn gezahlt wird.
Das anwaltliche Honorar, welches heute mein Thema ist, wird zwar auch danach bemessen, welche Bedeutung eine Sache für den Mandanten hat. Aber was heißt das konkret? In dem einen Monat, der ihm für die Revisionsbegründung bleibt, trägt der Anwalt die volle Verantwortung dafür, ob sein Klient möglicherweise für 5 Jahre ins Gefängnis geschickt wird. Klingt schwer nach Höchstgebühr.
Es gibt aber nicht nur 5 Jahre, sondern auch noch 10 oder 15 oder lebenslang. Kommt es zum Streit über das Honorar, ist darum meistens schon fraglich, ob der Verteidiger mit seiner Revisionsbegründung überhaupt die Oberkante des Gebührenrahmens touchiert hat. Darüber hinaus gekommen ist er dann sicher nicht. Denn über die Latte segeln nur Stabhochspringer.
Genau darum ist es schlichtweg ein Gebot der Fairness gegenüber seinem Strafverteidiger, eine kostendeckende Vergütung mit ihm zu vereinbaren, bevor er mit der Arbeit beginnt. So erkläre ich das auch meinen Mananten.
Die verstanden haben, einigen sich dann mit mir auf ein angemessenes Honorar. Die nicht verstanden haben, denken über Maßnahmen zur Kostenreduzierung nach und bieten mir an, zunächst einmal einen eigenen Entwurf zu fertigen, damit ich es leichter habe.
Das sind dann die Fälle, wo ich leider das Mandat beenden muss.