Der Zwangsabstieg
Recht haben und Recht kriegen sind zweierlei – meint der Volksmund zu wissen. Der Fußballverein SV Wilhelmshaven meint das wahrscheinlich seit heute auch.
Schon seit 2007 ärgert sich der Verein mit der FIFA herum, die ihm damals eine Strafe aufbrummte. Weil die Strafe nicht gezahlt wurde, folgte 2014 der Zwangsabstieg aus der Regionalliga Nord. Auch das wollte der Verein sich nicht gefallen lassen.
Der Rechtsstreit um die verhängte Strafe landete bereits 2016 vor dem Bundesgerichtshof (BGH), der die Strafe auch in der Tat für rechtswidrig erklärte. Spätestens ab da begann es aber kompliziert zu werden, weil Toreschießen und Juristerei eben unterschiedliche Dinge sind.
„Wenn die Strafe unberechtigt war, war es der Zwangsabstieg wegen der nicht bezahlten Strafe auch“, dachte man sich wohl am Stammtisch im Vereinsheim des SV Wilhelmshaven und lag damit noch nicht einmal so falsch. Der gesunde Menschenverstand scheint dieses Ergebnis eigentlich vorzugeben. Nur wie macht man einen Zwangsabstieg rückgängig? Denn mittlerweile befinden wir uns in der Saison 2019/20. Die Vereine, die gerade um die Krone in der Regionalliga Nord kämpfen, wären sicher nicht begeistert, wenn nun – nach überstandener Corona-Pause und kurz vor Saisonende – der SV Wilhelmshaven wieder mitspielen würde. Und ein Wiedereinstieg des Vereins zur Saison 2020/21 hätte wohl zur Folge, dass dafür ein Verein aus der jetzigen Regionalliga ausscheiden müsste oder aus der darunter liegenden Liga nicht aufsteigen dürfte.
Ein ziemlich kniffeliges Problem, welches der BGH dieser Tage (Beschl. v. 24.4.2020 – II ZR 417/18) mit messerscharfer juristischer Logik löste. Denn unsere Gesetze sind sehr abstrakt. Das müssen sie auch sein, weil sie nicht jedes Problem des täglichen Lebens explizit regeln können. Folglich fragte sich der BGH zunächst einmal, wie die Rechtsfolge eines rechtswidrigen Zwangsabstieges rechtlich definiert ist. Und siehe da, die Rechtsfolge heißt nicht Wiederaufstieg, sondern Schadensersatz. Schadensersatz wiederum bedeutet: Wiederherstellung des Zustandes, der ohne den zugefügten Schaden bestehen würde. Naturalrestitution heißt das im Juristendeutsch.
Wäre dem SV Wilhelmshaven eine Fensterscheibe im Vereinsheim zertrümmert worden, könnte er verlangen, dass eine neue Scheibe eingebaut wird. Wie aber wäre der Zustand, wenn 2014 kein Zwangsabstieg erfolgt wäre? Nun, dann hätte der Verein in der Folgesaison (2014/15) eben weiter in der Regionalliga gespielt. Und dann?
Wäre er vielleicht 2015 sowieso abgestiegen? Oder aufgestiegen und mittlerweile schon in der Bundesliga? Erfordert der Gedanke der Naturalrestitution dann sogar, dass der SV Wilhelmshaven nächste Woche gegen den FC Bayern antreten darf?
Niemand kann das genau sagen, weshalb Zivilrichter in solchen Situationen zu einer Keule greifen, die sie Beweislast nennen. Sie schauen also den, der etwas will (hier der SV Wilhelmshaven) unschuldig an und sagen: „Beweis mir das mal“. Und dadurch spielen sie den schwarzen Peter elegant weiter.
Natürlich konnte der SV Wilhelmshaven nicht beweisen, dass er im Falle eines Falles heute in der Bundesliga wäre. Nicht einmal den sicheren Verbleib in der Regionalliga Nord konnte er nachweisen – wie sollte er auch? Und das war´s dann mit der erhofften Rückkehr in die Regionalliga Nord, die sich der SV Wilhelmshaven nun eben auf dem Fußballplatz erkämpfen muss.
Der Stammtisch im Vereinsheim lässt sich jetzt wahrscheinlich die nächste Runde Bier und Korn bringen und beginnt dann eine oder mehrere Verschwörungstheorien zu stricken. Ich halte den Fall sehr lehrreich. Denn nicht alles, was dem gesunden Menschenverstand richtig erscheint, wird unter dem prüfenden Blick der Justiz auch zu Recht.