SS – NS – NSU

Am Landgericht Hamburg läuft derzeit – 75 Jahre nach Kriegsende – ein Strafverfahren gegen einen früheren KZ-Wächter. Es geht um Beihilfe zum Mord in 5230 Fällen. Frühere Prozesse dieser Art betrafen 28.060 Opfer (John Demjanjuk), 300.000 Opfer (Oskar Gröning) oder gleich all die Millionen Toten (Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozesse). In all diesen und vielen anderen Verfahren ging es um oftmals namenlose Tote, von denen vor Gericht wenig bis nichts bekannt wurde. Waren sie groß oder klein? Trugen sie Locken oder Glatze? Sprachen sie deutsch oder nicht? Niemand weiß es, die Justiz musste nur feststellen, dass sie tot sind. Denn in § 211 StGB steht etwas vom Töten eines Menschen. Weil alle Menschen rechtlich gleich viel Wert sind, weil das Strafrecht zumindest bei Mord nicht differenziert.

Juristen haben diese Grundsätze verinnerlicht. Sie interessiert nicht, ob ein Mordopfer arm oder reich, schön oder hässlich, alt oder jung war. Zumindest postmortal wird damit der Obersatz unserer Verfassung verwirklicht: Die Würde des Menschen ist unantastbar.

Aber wehe, wehe, wehe! Wenn Opferanwälte ins Spiel kommen, dann wird es plötzlich wichtig, dass die Opfer „Familienväter waren, die Ehefrauen, Kinder, Eltern und Geschwister hinterließen“, dann sollen Gerichte den Opfern plötzlich ein Gesicht geben, damit die Ermordeten nicht nur „austauschbare Statisten“ sind. Und geschieht dies nicht, dann hagelt es heftige Kritik so wie jetzt von den Nebenklagevertretern im Münchener NSU-Prozess. Und natürlich fehlt es auch nicht an der immergleichen Forderung, die Opfer wollten „Aufklärung“, was immer auch damit gemeint ist. Denn egal wie umfangreich das Gericht auch aufklärt, den Opfervertretern ist es ohnehin nie genug.

Ich hoffe, die vehementen Kritiker hatten wenigstens real existierende und nicht bloße Phantom-Mandanten.

Man kann es jedenfalls nicht oft genug sagen: Der Strafprozess ist keine Trauerbewältigung für Opfer! Das Gericht muss in einem Mordprozess lediglich feststellen, dass ein Mensch – und zwar irgendein Mensch – tot ist. Dann braucht es noch ein Mordmerkmal und einen Vorsatz. Dagegen tritt eine Verteidigung an, die naturgemäß mauert, die verhindern will und muss, dass die Strafkammer (im NSU-Verfahren sogar ein Senat) die notwendigen Feststellungen trifft.
Basta!

Es liegt in der Natur der Sache, dass hinter dem Ermordeten tragische Schicksale stehen, insbesondere der Angehörigen und Hinterbliebenen. Die müssen gewiss auch bedacht werden. Aber sie können weder ungeschehen gemacht, noch auch nur gemildert werden, wenn ein Gericht seinem 3025-Seiten-Urteil noch ein paar Zeilen Empathie für die Opfer hinzufügt.
Aus meiner Sicht ist derartige Urteilsschelte grober Unfug. Denn alle Menschen sind gleich und die Millionen Opfer der NS-Verbrecher nicht weniger wert als die des NSU.

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