Legendierte Polizeikontrolle

Was ist eigentlich eine „legendierte Polizeikontrolle“?

Die römische Mythologie kannte den doppelgesichtigen Janus. Der war dafür zuständig die Gegensätze zu vereinen. Anfang und Ende, Leben und Tod, Eingang und Ausgang waren Janus unterstellt, denn mit seinen zwei Gesichtern schaute er gleichzeitig nach vorne und nach hinten, hatte also den Überblick über das Ganze. Was für Kinderaugen vielleicht nach einem Monster aussieht, wurde von den Römern als Gott verehrt. Man baute ihm den legendären Tempel, dessen Tore während eines Krieges offen standen. Das Internet behauptet, die genaue Lage des Tempels sei ungeklärt – ich weiß wo seine Reste stehen, denn ich war schon dort. 

Szenenwechsel: Ein Schuss, ein Knall, ein Toter. Tatütata, die Polizei ist da und der Strafverteidiger fragt sich, welche Rechte die nun hat. Die Juristen antworten wie sie immer antworten: Das kommt drauf an.

Vor dem Schuss galt noch Gefahrenabwehrecht, mithin in jedem Bundesland etwas anderes, denn vor dem Schuss gab es noch keine Straftat, da handelte die Polizei nur zur Vermeidung künftiger Straftaten, also präventiv. Nach dem Schuss gilt die Strafprozessordnung, da ermittelt der Staatsanwalt und die Polizisten sind seine Hilfsbeamten. Heute sagt man „Vernehmungsbeamten“, weil die Polizisten keine Gehilfen mehr sein wollten. In der Sache hat sich nichts geändert.

Wenn sie repressiv handeln, also nach begangener Straftat, laufen die Polizisten an der Leine des Staatsanwaltes. Und der wiederum muss sich bestimmte Aktionen – beispielsweise eine Durchsuchung – vom Richter genehmigen lassen. So will es das Gesetz und so will es auch der Strafverteidiger, damit er klar abgrenzen kann, was erlaubt ist und was nicht. 

Die Geschichte mit dem Schuss ist eigentlich auch für Laien einfach zu verstehen. Vorher präventiv und darum Polizeirecht, hinterher repressiv und darum Strafprozessrecht.

Übertragen wir das mal auf einen Drogenkurier, gilt nichts anderes. Die Hinfahrt nach Holland geschieht im Vorfeld einer Straftat, da überwacht die Polizei nur präventiv. Die Drogenübergabe ist der Schuss und für die Rückfahrt gilt dann Strafprozessrecht.

„Dumm gelaufen“, schimpft da der Polizist. „Jetzt muss ich ja den Staatsanwalt fragen, bevor ich den Kurier anhalte. Und der muss den Richter fragen, bevor das Auto durchsucht werden darf. Das ist doch irgendwie ziemlich nervig mit dem Rechtsstaat.“

An dieser Stelle kommt der Doppelgesichte ins Spiel, der bekanntlich Gegensätze vereint. Janus flüstert den Hilfsbeamten (wir befinden uns ja im repressiven Bereich) ins Ohr: „Versuch’s doch einfach präventiv.“ Und siehe da: Das präventive Polizeirecht kennt ein Schlupfloch, nämlich die allgemeine Verkehrskontrolle. Also flugs die Kelle raus und den Drogenkurier rechts ran gewunken. „Darf ich mal ihr Warndreieck sehen? Huch, was ist denn das? Sieht ja aus wie Heroin. Na so ein Zufall aber auch.“

Und während der Staatsanwalt noch darauf wartet, dass er vor der Durchsuchung gefälligst gefragt wird, ob er mal den Richter fragen darf, hat die Polizei die Arbeit längst erledigt.

„Legendierte Polizeikontrolle“ nennt man dies, weil die Kontrolle nur eine Legende ist, eine Erfindung, um den Richtervorbehalt zu umgehen. Strafverteidiger sehen dieses Vorgehen der Polizei naturgemäß kritisch, aber der Bundesgerichtshof meint: „Kein Problem“. Präventiv und repressiv ist doch irgendwie alles eins, Hauptsache die Polizei kann zugreifen.

Du wirst, geneigter Leser, Dich nun fragen, wozu die Förmelei denn gut sein soll. Schließlich kann es nicht falsch sein, einen Drogenkurier aus dem Verkehr zu ziehen. Also wenden wir uns dem zu, was Dir heilig ist: Dein home und castle. Dort fühlst Du Dich sicher, weil die Polizei ohne richterlichen Durchsuchungsbeschluss nicht hineindarf – denkst Du. Aber vielleicht bist Du ja Versicherungsvertreter mit Heimbüro und empfängst dort auch Kunden. Dann hat der Zoll ein Betretensrecht, um dort nach Schwarzarbeitern zu suchen. Schon mal darüber nachgedacht, ob diese Kontrolle „legendiert“ ist, also einem ganz anderen Zweck dient?

Oder Du bist Jäger, dann darf die Waffenbehörde nachschauen, ob Du Deine Waffen anständig verwahrst. Warum aber sollte es keine legendierte Waffenkontrolle geben? Will das Bauamt wirklich nur prüfen, ob Du vorschriftsmäßig Rauchmelder montiert hast? Und vor dem Schornsteinfeger warnt man schon die Kinder im Lied vom schwarzen Mann.

Vielleicht solltest Du künftig etwas argwöhnischer betrachten, wer zu welchen Zwecken Dein Haus betritt. 

Denn der Janustempel ist geöffnet – was das bedeutet, sollte klar sein!

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