Im Strafrecht ist jetzt Winter
Heute am 1. Oktober beginnt die strafrechtliche Winterzeit. Wann immer die Polizei nicht zweimal klingelt, sondern einmal heftig klopft, fragt zwar jeder sofort nach dem Durchsuchungsbeschluss, aber keiner kommt auf die Idee, einen Blick auf Uhr und Kalender zu werfen. Denn Wohnungsdurchsuchungen zur Nachtzeit sind – von Ausnahmen abgesehen – verboten.
Die Nachtzeit hielt der Gesetzgeber schon immer für besonders schützenswert. Daher wurden früher Wohnungsdiebstähle auch härter bestraft, die „daselbst zur Nachtzeit verübt“ wurden. Wenn der Deutsche Michel die Schlafmütze aufhat, will er eben nicht gestört werden.
Heutzutage gilt der Dieb in der Nacht nicht mehr für schlimmer als der am Tage. Geschützt wird der Bürger nur noch vor der Polizei in der Nacht. So ändern sich die Zeiten.
Und mit Ihnen wandelt sich die Vorstellung darüber, wann eigentlich Nacht ist. Denn Strafrecht ist stets den Launen seiner Macher unterworfen, es gilt weder seit noch für ewig.
Die bloße Dunkelheit schien den historischen Strafjuristen keine hinreichende Abgrenzung für die Schwelle der Nacht zum Tage, ebenso wenig die Schlafenszeit. Also einigte man sich darauf, dass Nacht im rechtlichen Sinne nur dann sei, wenn Dunkelheit und Schlafenszeit zusammenfallen. So weit die Theorie.
Im alten Preußen begann die Nacht in Umsetzung dieser Grundsätze abends um zehn und endete morgens um vier. Im Juni und Juli währte sie gar nur von 23 bis 3 Uhr.
Im Vergleich dazu ist der moderne Staat recht großzügig. Er gönnt Dir, geneigter Leser, bereits ab 21 Uhr Ruhe. So ist das seit 1877, obwohl zwischenzeitlich mal die Sommerzeit eingeführt wurde und im Juni/Juli um 21 Uhr nicht geschlafen, sondern bei Tageslicht gegrillt wird.
Da allerdings nur das gute Gewissen ein sanftes Ruhekissen ist und das Böse ohnehin nie schläft, meinte der Gesetzgeber beim Ende der Nacht differenzieren zu müssen: Zwischen dem 1.4. und dem 30.9. endet diese rechtlich schon um 4 Uhr, ansonsten erst um 6 Uhr. Daher markiert der heutige Tag einen Wendepunkt.
Rührt das schlechte Gewissen übrigens nicht von krummen Dingern, sondern nur von unbezahlten Rechnungen her, darf der Bürger ganzjährig bis 6 Uhr schlafen. Für die Durchsuchung seitens des Gerichtsvollziehers gilt nämlich § 758a ZPO. Der kennt keinen Unterschied zwischen Sommer und Winter.
Pläne, angesichts der demnächst kommenden ewigen Sommerzeit die Nacht neu zu definieren, gibt es keine. Und so wird auch in Zukunft der Strafverteidiger im Sommer mitunter zwei Stunden vor seinem zivilistischen Kollegen auf Trab sein müssen.
Ein Beruf, der eben nicht für Schlafmützen gedacht ist.
Nachtrag: Durch das „Gesetz zur Fortentwicklung der StPO u.a.“ vom 25.6.2021 (BGBl I, S. 2099) hat der Gesetzgeber § 104 StPO geändert. Die Nachtzeit dauert jetzt einheitlich von 21 bis 6 Uhr.